Das Lichtspielhaus – Zeit der Entscheidung

Erstellt am 1.5.19. Kategorie: Buchrezensionen
„Das Lichtspielhaus - Zeit der Entscheidung“
von Heidi Rehn
Bewertung
★★★★★
Verlag Droemer Knaur
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Mai 2019
Seiten 512 als Taschenbuch
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Endlich ein neues Werk von Heidi Rehn! Diesmal entführt uns die Autorin in die Welt des Kinos und in eine Zeit, als die Lichtspielhäuser vor großen Herausforderungen standen.
Die Geschichte beginnt im Oktober 1926: Die Familie Donaubauer gehört zu den wichtigsten Kinobetreibern in München. Angefangen hat alles mit Mutter Zenzi und zwei kleinen, höchst einfachen Vorstadtkinos. Ihr Sohn Karl und seine Frau Elsa, eine ehemalige Schauspielerin aus Wien, haben das Unternehmen ausgebaut. Ihr ganzer Stolz ist das „Elvira“, ein Lichtspielpalast, der höchsten Ansprüchen genügt und in dem so manche glanzvolle Filmpremiere stattfindet. Hier lassen sich auch berühmte Schauspieler und Regisseure gerne blicken.

Elsa glaubt sich gerade am Ziel ihrer Träume, als Karl mit einer Revuetänzerin nach Amerika durchbrennt. Fortan muss Elsa sich nicht nur allein um die beiden kleinen Töchter kümmern, sondern auch im Unternehmen „ihren Mann stehen“, denn nicht nur Zenzi mischt noch immer kräftig mit, sondern auch Heinrich, Zenzis Schwiegersohn und Mann ihrer Tochter Ulla. Heinrich glaubt, als letzter verbleibender Mann im Familienbetrieb könne er nun das Zepter übernehmen. Doch da hat er die Rechnung ohne die Donaubauer-Frauen gemacht!

Viele Widrigkeiten bedrohen zu dieser Zeit die Filmindustrie, allen voran die Einführung des Tonfilms, der viele Kinobesitzer zu großen Investitionen zwingt. Und dann gewinnen auch die Nationalsozialisten immer mehr Einfluss. Hitler und Goebbels erkennen schnell, wie sie sich das Kino zunutze machen können: Immer mehr Propagandafilme werden gedreht. Das bedeutet zwar einerseits mehr Unterstützung für die Kinobetreiber, andererseits aber auch viele Zugeständnisse, die diese machen müssen, um zu überleben. Mit der Zeit verschwinden immer mehr jüdische Filmemacher, Schauspieler und Kinobesitzer aus der Filmszene. Und mit der übermächtigen Konkurrenz durch die staatliche geförderte UFA wird vielen kleineren Kinobetreibern schließlich erst recht der Garaus gemacht.

Auch die Familie Donaubauer kämpft um ihre Existenz. Während Zenzi sich politisch bedeckt hält, Elsa die Nationalsozialisten zwar ablehnt, aber sich zähneknirschend mit ihnen arrangiert, lässt Heinrich sich schon bald mit den falschen Freunden ein, die ihn für ihre eigenen politischen Intrigen missbrauchen. Und Lotti wiederum, die langjährige treue Assistentin der Donaubauers, gerät durch ihren Verlobten mitten hinein in den Widerstand und damit in höchste Gefahr.

Und auch privat läuft längst nicht alles rund: Niemand glaubt mehr an die Geschichte von Karls Geschäftsreisen, seine Affäre mit einer Revuetänzerin, noch dazu einer dunkelhäutigen, ist ein offener Affront für die Nationalsozialisten. Doch eine Scheidung kommt für Elsa nicht in Frage, verlöre sie so doch ihren Einfluss im Unternehmen, das schließlich das Erbe ihrer beiden Töchter ist. Die jedoch werfen Elsa vor allem vor, immer nur ans Kino zu denken und viel zu selten an die Familie. Als ihre Tochter Sidonie ungewollt schwanger wird, ist guter Rat teuer. Ihre Schwester Jette verliebt sich in einen Juden und will emigrieren. Und Heinrich präsentiert unerwartet einen unehelichen Sohn, der für einigen Wirbel sorgt. Und dann ist plötzlich der Herbst 1939 angebrochen und Hitler erklärt Polen den Krieg…

Atemlos habe ich die Geschichte der Familie Donaubauer von den 1920er Jahren bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs mitverfolgt. Wieder einmal ist es der Autorin hier gelungen, tatsächliche geschichtliche Ereignisse mit einer fiktiven Geschichte zu einer spannenden Handlung zu verweben. Viele bekannte Filme und Schauspieler aus dieser Zeit werden erwähnt – Namen wie Luis Trenker oder Heinz Rühmann sind ja auch heute noch nicht vergessen. So wird ein sehr eindrückliches Bild dieser Epoche gezeichnet. Neben München sind auch Wien, Berlin zur Zeit der olympischen Spiele und die Filmfestspiele in Venedig Schauplätze des Romans. Beim Lesen musste ich häufiger an den Roman „Die Frau im hellblauen Kleid“ von Beate Maxian denken, geht es dort doch auch um eine Filmschauspielerin in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Eindrücke aus beiden Romanen ergänzen sich meiner Meinung nach hervorragend.

Und es gibt ein Wiedersehen mit vielen Personen, die der Leser schon aus Heidi Rehns früheren Romanen kennt: So kauft Elsa selbstverständlich im Kaufhaus Hirschvogl ein, sie kennt die Journalistin Judith Lichtblau und trifft sogar ganz kurz Lou und Max aus „Tanz des Vergessens“, während Heinrich sich in den Münchner Salons herumtreibt, wo auch Hitler gern gesehener Gast ist (siehe „Spiel der Hoffnung“). Außerdem spielt hier auch Falk von Kirchenreuth, in „Spiel der Hoffnung“ eine Nebenfigur, eine wichtige Rolle. Doch keine Sorge: Auch wenn man die vorherigen Romane von Heidi Rehn noch nicht kennt, kommt man hier beim Lesen problemlos mit, es sind keine Vorkenntnisse aus den anderen Büchern nötig. Wer die Bücher jedoch kennt, freut sich bestimmt über das eine oder andere Wiedersehen.

Alles in allem war dies wieder eine sehr bewegende Geschichte, die noch lange nachgehallt hat. Und ich bin jetzt schon gespannt auf die Fortsetzung, die im nächsten Jahr erscheinen soll. Vorab freue ich mich aber auf den nächsten Romanspaziergang mit Heidi Rehn.

Übrigens: Für alle eBook-Leser gibt es zum Roman noch das kostenlose Prequel „Das Lichtspielhaus – Wie alles begann.“ Darin erfährt man mehr über die Anfänge der Liebe zwischen Elsa und Karl: Elsa, die aus einem gutbürgerlichen Wiener Elternhaus stammt, steht am Anfang einer vielversprechenden Karriere als Theaterschauspielerin, als sie Karl kennen- und lieben lernt. In den Augen ihrer Eltern ist Karl, der zusammen mit seiner Mutter in München einige Vorstadtkinos betreibt, nicht gerade die passende Partie. Doch Elsa setzt sich durch, heiratet Karl und reist mit ihm nach München, wo sie zum ersten Mal eines der doch sehr einfachen Kinos betritt. Einerseits entsetzt von der primitiven Ausstattung, ist Elsa doch sofort hingerissen von der Atmosphäre im Publikum, wo jeder mit den Helden auf der Leinwand mitfiebert. Ihre Liebe zum Kino ist geweckt und wird zur wahren Leidenschaft. Gemeinsam mit Karl hegt sie große Pläne für die Donaubauer-Lichtspielhäuser…

 

Nachtrag am 23. Juni 2019:

Heute hatte ich das große Vergnügen, an einem von Heidi Rehns Roman-Streifzügen auf den Spuren der Münchner Lichtspielhäuser teilzunehmen. Hier einige Impressionen – man beachte die Stretchlimousine vor dem „Elvira“-Gebäude!