Das Herz des Ozeans

Erstellt am 5.5.20. Kategorie: Buchrezensionen
„Das Herz des Ozeans“
von Karen White & Beatriz Williams & Lauren Willig
Bewertung
★★★★★
Verlag Blanvalet
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Dezember 2019
Seiten 542
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Am 7. Mai 2020 jährt sich der Untergang der RMS Lusitania zum 105. Mal. Der Luxusdampfer der britischen Cunard Line wurde im Ersten Weltkrieg von einem deutschen U-Boot versenkt. Dabei verloren 1.198 Menschen ihr Leben, darunter auch sehr viele Kinder. So weit die traurigen Fakten. Leider war die Lusitania in meinem Geschichtsunterricht kein großes Thema, weshalb ich bisher auch nur wenig über die tragischen Ereignisse damals wusste. Das hat sich dank dieses Romans nun geändert.

Das Buch wurde von einem Autorinnen-Trio geschrieben, von dem ich schon einmal einen bewegenden Roman gelesen habe, nämlich „Das saphirblaue Zimmer.“ Ich nehme an, jede der drei Autorinnen hat einen der drei Erzählstränge beigesteuert, denn das Buch wurde aus drei Perspektiven geschrieben. Da ist zum einen die New Yorker Schriftstellerin Sarah im Jahre 2013. Im Nachlass ihres Urgroßvaters Patrick, der einst Steward auf der RMS Lusitania war, stößt sie auf eine kryptische Nachricht, die ihre Neugier weckt und eine neue Romanidee in ihr keimen lässt. Sie reist nach England, um dort weitere Nachforschungen anzustellen und trifft dabei auf John Langford, den Urenkel von Robert Langford, der einst Passagier auf der Lusitania war.

Der zweite Erzählstrang dreht sich im Jahr 1915 um Caroline, Gattin des Unternehmers Gilbert, und beginnt in New York. Hier soll Caroline zusammen mit Gilbert auf der Lusitania die Reise nach Liverpool beginnen – wohlwissend, dass in Europa Krieg herrscht und in der Irischen See deutsche U-Boote stationiert sind. Zwar gibt es viele Warnungen, so dass Caroline die Reise am liebsten gar nicht antreten würde, doch ihr Mann, den wichtige Geschäfte nach Europa zwingen, beruhigt sie: Die britische Marine wird der Lusitania Geleitschutz geben und da so viele Amerikaner an Bord sind (zu diesem Zeitpunkt waren die USA noch nicht am Krieg beteiligt), würden die Deutschen wohl nicht wagen, das Schiff anzugreifen.

Zuguterletzt handelt die Geschichte von der Betrügerin Tess, ebenfalls im Jahr 1915. Tess ist eine begnadete Malerin und arbeitet als Kunstfälscherin, um sich und ihre Schwester Ginny zu ernähren. Nun führt sie ein letzter Auftrag an Bord der Lusitania, danach will sie in England unter falschem Namen ein neues, rechtschaffeneres Leben beginnen. Doch zuvor soll sie ein bisher unveröffentlichtes Musikstück von Johann Strauß kopieren, das sich im Besitz von Caroline befindet und das deren Mann Gilbert in England an einen reichen Sammler verkaufen will.

So treffen sich also Caroline, Gilbert und Tess an Bord des Luxusliners. Mit von der Partie ist auch Robert Langford, Carolines Jugendliebe. Die alten Gefühle flammen wieder auf, zumal Caroline sich von ihrem Mann Gilbert vernachlässigt fühlt, denn der hat nur seine Geschäfte im Kopf. Doch auch zwischen Robert und Tess entwickelt sich eine ganz besondere Beziehung, sie begegnen sich immer wieder, auch weil Robert meist in Carolines Nähe weilt und Tess ja an die Noten von Caroline herankommen will.

Als ihr dies schließlich gelingt, stellt sie rasch fest, dass es sich bei dem Manuskript nicht nur um Walzernoten handelt. Vielmehr scheint es sich bei den handschriftlichen Anmerkungen um einen Code zu handeln. Bereits zu Beginn der Schiffspassage wurden an Bord drei deutsche Spione verhaftet. Sind womöglich noch mehr Spione an Bord? Sollen anhand des Manuskripts kriegswichtige Informationen an die Deutschen übermittelt werden? Und wer ist dann letztlich der Spion? Gilbert? Robert? Oder ist doch alles ganz anders, als es zunächst scheint? Währenddessen vergehen die Tage und das Schiff nähert sich der irischen Küste…

Je weiter die Handlung voranschritt, umso weniger konnte ich das Buch aus der Hand legen. Bei jedem Kapitel steht das Datum dabei, an dem es spielt, und so wusste ich stets, dass sich die Katastrophe unaufhaltsam nähert. Durch den stetigen Perspektivwechsel kam es dabei zu so manchem Cliffhanger, wobei sich die Geschichten von Caroline und Tess, die beide 1915 auf der Lusitania spielen, wunderbar ergänzen, während Sarahs Erlebnisse 2013 mir manchmal wie eine fast schon lästige Unterbrechung schienen, doch auch hier entwickelte sich rasch eine ganz eigene Dynamik.

Von den drei Frauenfiguren war mir übrigens ausgerechnet die Betrügerin Tess am sympathischsten. Bei Sarah und John Langford fand ich das ständige Wortgefecht zwischen der schnodderigen Amerikanerin und dem britischen Gentleman sehr amüsant. Die erstaunlichste Wandlung hat in meinen Augen Caroline vollzogen: Vom verwöhnten, etwas naiven und schwachen Weibchen entwickelt sie sich im Angesicht der Katastrophe zu einer Frau, die zupacken kann und keine Mühen und Strapazen scheut, wenn es um ihre große Liebe geht. Nur: Wer ist ihre große Liebe? Robert? Oder doch Gilbert? Das ist nur eine von vielen Fragen, die es im Laufe dieser außergewöhnlichen Schiffspassage zu klären gilt.

Fazit: Ein absoluter Pageturner, der mich richtiggehend fertig gemacht hat. Denn die dramatischen Szenen, die sich während des Schiffsuntergangs abgespielt haben, sind so geschildert, dass ich die Szenerie als sehr beklemmend empfand und manchmal ganz bewusst eine kleine Pause einlegen musste – allerdings nie zu lange, denn andererseits wollte ich doch unbedingt wissen, wie es weitergeht und wer von den Hauptpersonen das Unglück vielleicht doch überleben könnte. Und am Ende musste ich das Gelesene erstmal eine ganze Weile sacken lassen und noch lange darüber nachdenken, bevor ich bereit für die nächste Lektüre war.