Palais Heiligendamm – Ein neuer Anfang

Erstellt am 14.11.20. Kategorie: Buchrezensionen
„Palais Heiligendamm - Ein neuer Anfang“
von Michaela Grünig
Bewertung
★★★★★
Verlag Bastei Lübbe
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Oktober 2020
Seiten 574
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Gerade jetzt während des Teil-Lockdowns denke ich oft voller Dankbarkeit an unseren herrlichen Usedom-Urlaub im Sommer zurück. Ebenfalls an der Ostsee, jedoch ein gutes Stück nordwestlicher, ist dieser Roman angesiedelt, der erste Teil einer zweiteiligen Saga rund um die Hoteliersfamilie Kuhlmann. Die hat Anfang des 20. Jahrhunderts ein Hotel in Doberan nahe Heiligendamm erworben und Vater Heinrich Kuhlmann hat damit ehrgeizige Pläne. Der Roman beginnt im Jahr 1912 und wird vor allem aus der Sicht von Tochter Elisabeth erzählt, deren sehnlichster Wunsch es ist, im Hotel arbeiten zu dürfen. Doch das schickt sich nicht für eine junge Dame der gehobenen Gesellschaft, stattdessen fungiert Sohn Paul als Juniorchef, sehr zu seinem Leidwesen, denn die Interessen des sehr empfindsamen künstlerisch veranlagten jungen Mannes liegen ganz woanders. Doch als das Hotel in finanzielle Schieflage gerät, müssen alle Familienmitglieder zusammenhelfen.

Da tritt der junge Julius Falkenhayn auf den Plan, der Elisabeth von Anfang an zum Widerspruch reizt, den sie gleichzeitig aber auch sehr anziehend findet. Immerhin erkennt Julius Elisabeths Potential als Hotelchefin und unterstützt sie, wo er nur kann, auch gegen den Widerstand der Familie. Paul hat indes ganz andere Probleme, er kämpft mit seinen Gefühlen, die ihn sogar ins Gefängnis bringen könnten. Und dann ist da noch Minna, das Dienstmädchen der Familie, das von sehr viel existentielleren Sorgen geplagt wird. Und schließlich bricht der Erste Weltkrieg aus und stellt alle vor ganz neue Herausforderungen, althergebrachte Rollenbilder sind plötzlich nichtig, es zählt nur noch der nackte Kampf ums Überleben und der geht auch nach Kriegsende noch weiter.

Mich hat dieser Roman von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. Vor vielen Jahren war ich selbst einmal in Bad Doberan und Heiligendamm zu Besuch, die Lektüre hat bei mir viele Erinnerungen heraufbeschworen. Gleichzeitig hat mich die Geschichte der Familie Kuhlmann von Anfang an gefesselt. Es gibt viele sehr sympathische und einige weniger sympathische Protagonisten (zu letzteren zähle ich vor allem Elisabeths Mutter) und die Geschichte hat viele, oft sehr unerwartete Wendungen, die die Spannung stets von Neuem anfachen. Dabei wird eine Fülle von Themen angeschnitten, die jene Zeit besonders geprägt haben: Es geht u.a. um Deutschlands Kolonialpolitik, um Judentum, um Gesellschaftsklassen, die extreme Kluft zwischen Arm und Reich, um die Rechte der Frauen, um gleichgeschlechtliche Liebe, Liebe über Standesgrenzen hinweg und, und, und…

Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Elisabeth, Paul und Minna und mit allen dreien habe ich sehr mitgefühlt. Die Schauplätze beinhalten neben Doberan und Heiligendamm auch Berlin und die Schützengräben der Schlachtfelder in Frankreich während des Ersten Weltkrieges – vor allem die dortigen Geschehnisse haben mich tief bewegt, ich habe so sehr mit Paul mitgelitten und habe deshalb die ganze Nacht komplett durchgelesen, weil ich so sehr gehofft und gebangt habe, dass er es wieder lebendig zurück nach Hause schafft.

Kurzum: Eine sehr mitreißende Lektüre, bei der trotz der Länge von weit über 500 Seiten keine Langeweile aufkam. Nun warte ich gespannt auf Band 2, der unter dem Titel „Stürmische Zeiten“ im Mai 2021 erscheinen soll. Wer nun neugierig auf Band 1 geworden ist, findet auf der Homepage des Verlages eine Leseprobe.