Die Glücksschneiderin

Erstellt am 21.6.21. Kategorie: Buchrezensionen
„Die Glücksschneiderin“
von Ulrike Sosnitza
Bewertung
★★★★★
Verlag Heyne
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Juni 2021
Seiten 381
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Ganz ehrlich? Früher in der Schule habe ich Handarbeiten gehasst und vor der Nähmaschine hatte ich gehörigen Respekt. Das änderte sich erst, als ich meine erste eigene Wohnung hatte, da habe ich angefangen, selbst Kissenbezüge und Vorhänge zu nähen. Zu mehr reicht es allerdings bis heute nicht und deshalb war ich zugegebenermaßen erst etwas skeptisch, als ich las, dass sich der neue Roman von Ulrike Sosnitza ums Schneidern dreht. Doch ich wurde aufs Positivste überrascht.

Hauptfigur ist Clara, die sich einen Lebenstraum erfüllt und zusammen mit ihrer Tante Sonja ein Nähcafé in Würzburg eröffnet: Sonja kümmert sich ums Café, Clara um das Nähatelier. Hier will sie Nähkurse anbieten, Maß- und Änderungsschneidereien vornehmen und vor allem ihren Kund*innen einen nachhaltigen und wertschätzenden Umgang mit Kleidung beibringen: Weg von der sog. „Fast Fashion“, die unter fragwürdigen Umständen und mit miserabler Ökobilanz in minderwertiger Qualität zu Dumpingpreisen gefertigt wird. Stattdessen lautet ihr Motto Upcycling: Was nicht mehr passt, wird geändert, was nicht mehr gefällt, wird aufgehübscht. Wie ich finde, ein ganz tolles Konzept!

Leider läuft der Laden aber noch nicht so recht und deshalb ist Clara wie elektrisiert, als sie auf dem Flohmarkt ein wertvolles altes Kleid entdeckt, das mutmaßlich aus den 1920ern stammt. Dieses Kleid, so hofft sie, soll dem Nähcafé den nötigen „Wumms“ verleihen. Dumm nur, dass dieses Kleid ausgerechnet der Urgroßmutter von Finn, Claras Ex-Freund, gehört hat und Finn es unbedingt wiederhaben will. So kommt es, dass Clara und Finn sich Jahre nach der Trennung wiedersehen – nach einer Trennung, die äußerst unschön verlaufen ist, denn Finn ist damals einfach ohne ein Wort gegangen, ohne jede Erklärung, was Clara sehr mitgenommen hat.

Entsprechend abweisend reagiert sie, als sie Finn nun plötzlich wieder gegenübersteht. Doch Finn ist inzwischen Lokaljournalist und kann ihrem Nähcafé mit einem Artikel in der Zeitung den nötigen Aufschwung verschaffen, dazu kann Clara nicht Nein sagen. Und so kommt es, dass die beiden sich wieder annähern, ganz vorsichtig und mit jeder Menge Vorbehalte. Doch was sie eint, ist der Wunsch, mehr über die Geschichte des Kleides in Erfahrung zu bringen. Die einstige Besitzerin, Finns Urgroßmutter Mimi, können sie nicht fragen, die ist längst tot. Aber Finn erinnert sich daran, dass Mimi ihm als kleinem Jungen das Kleid oft gezeigt hat und schon damals hat er gespürt, dass das Kleid eine besondere Bedeutung haben muss.

Bei der gemeinsamen Recherche funkt es gewaltig zwischen den beiden, die alten Gefühle flammen wieder auf, auch wenn beide sich das lange nicht eingestehen wollen. Vor allem Clara hat Angst, erneut verlassen zu werden. Schließlich kommt es endlich zur großen Aussprache und Finn gesteht ihr den wahren Grund, warum er sie damals Knall auf Fall verlassen hat. Doch damit stürzt er Clara erst recht in ein gewaltiges Gefühlschaos und es scheint, als gebe es keine gemeinsame Zukunft für die beiden

Ich habe mich in Würzburg und in der Geschichte vom ersten Moment an wohlgefühlt. Clara ist eine durch und durch sympathische Protagonistin, mit der ich wunderbar mitfühlen konnte. Und auch in Finn konnte ich mich prima hineinversetzen, denn die einzelnen Kapitel sind abwechselnd aus seiner und aus Claras Perspektive geschrieben. Das glühende Plädoyer für einen nachhaltigen Umgang mit Kleidung ist bei mir auf sehr fruchtbaren Boden gefallen. Ich bin zwar nicht besonders begabt im Upcycling, aber ich lege Wert auf Qualität, Langlebigkeit und ein gutes soziales und ökologisches Gewissen beim Klamottenkauf. Und durch die Lektüre habe ich tatsächlich auch Lust bekommen, mal wieder selbst etwas zu nähen.

Daneben behandelt der Roman noch ein weiteres sehr wichtiges Thema, über das ich leider nichts Näheres verraten kann, ohne zu spoilern. Nur so viel: Es geht um eine Krankheit, über die man bis heute meist nicht offen spricht, dabei ist es so wichtig, dieses Leiden zu enttabuisieren. Die Art und Weise, wie das Thema im Roman aufgegriffen wird, fand ich deshalb besonders lobenswert.

Schlussendlich hat mir das Buch Lust darauf gemacht, mal wieder nach Würzburg zu fahren. Ich selbst war leider zuletzt als Kind dort, dafür hält mein Sohn sich inzwischen häufiger dort auf – lustigerweise auch genau in dem Stadtviertel, das im Buch ausführlich beschrieben wird, weil Finn dort wohnt. Und schließlich gibt es im Roman auch ein Wiedersehen mit Lea, der Protagonistin aus Ulrike Sosnitzas erstem Roman „Novemberschokolade“, der ja auch in Würzburg spielt.

Ich habe alle bisher erschienenen Romane von Ulrike Sosnitza gelesen und mein persönlicher Favorit von ihr war bisher „Hortensiensommer“, doch „Die Glücksschneiderin“ hat das Zeug dazu, meine neue Nummer Eins zu werden.