Arzt der Hoffnung

Erstellt am 29.10.21. Kategorie: Buchrezensionen
„Arzt der Hoffnung“
von Ralf Günther
Bewertung
★★★★★
Verlag Rowohlt
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Oktober 2021
Seiten 315
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Hamburg, August 1892: In der Hansestadt ist die Cholera ausgebrochen. Viel zu lange haben Bürgermeister und Senat die Ereignisse verheimlicht und heruntergespielt, viel zu wichtig sind ihnen die wirtschaftlichen Interessen der Stadt. Aber schließlich schickt die Reichsregierung den renommierten Arzt Robert Koch nach Hamburg, um dort helfend einzugreifen.

Koch ist alles andere als willkommen, denn die Maßnahmen, die er anordnet, sind unbequem: Der Hafen wird geschlossen, es darf kein Schiff mehr ein- oder ausfahren, der Handel kommt zum Erliegen, die Leute sollen zuhause bleiben und Hygienemaßnahmen beachten, Trinkwasser muss abgekocht werden. Es dauert, bis diese Maßnahmen umgesetzt werden, so läuft beispielsweise die „Normannia“ nachts noch aus und nimmt Kurs auf New York. Mit an Bord: die Seuche.

Und während sich die Situation an Bord dramatisch zuspitzt, sieht es in Hamburg nicht besser aus: Die Krankenhäuser sind überfüllt, die Menschen sterben zu Tausenden, Ärzte und Krankenschwestern arbeiten bis zur Erschöpfung. Trotz aller angeordneter Maßnahmen wird die Lage einfach nicht besser. Da kommt ein junger Assistenzarzt auf die Idee, den Kranken die verlorene Flüssigkeit intravenös als Kochsalzlösung zu verabreichen. Und Koch selbst nimmt das Hamburger Trinkwasser genauer unter die Lupe. Wie kann es sein, dass im benachbarten Altona viel weniger Menschen an der Cholera erkranken, obwohl Altona doch sein Trinkwasser aus der Elbe bezieht, nur wenige Meter entfernt von der Stelle, an der die Hansestadt Hamburg ihre Abwässer in den Fluss leitet?

Nebenbei sieht sich Koch auch noch mit privaten Problemen konfrontiert, denn seine heimliche Geliebte Hedwig kommt gegen seinen ausdrücklichen Wunsch nach Hamburg. Obwohl Koch längst von seiner Frau getrennt ist, wird sein Verhältnis zu Hedwig in der Gesellschaft doch nicht gerne gesehen. Aber Hedwig kümmert das wenig, stattdessen macht sie sich als Hilfskrankenschwester unentbehrlich. Dennoch muss Koch gegen viele Widerstände kämpfen.

Die Parallelen zwischen der Corona-Pandemie heute und der über hundert Jahre zurückliegenden Cholera-Epidemie sind wirklich frappierend. Beim Lesen musste ich allzu oft schlucken, wenn von Quarantäne die Rede war oder davon, dass man anderen Leuten nicht mehr die Hand geben und lieber Abstand halten sollte. Auch damals wurden die Schulen geschlossen, ebenso die Geschäfte und Büros, die Wirtschaft ächzte und die Politiker zauderten. Besonders beklemmend fand ich die Zeitzeugenberichte, die jedem Kapitel vorangestellt sind.

Wie der Autor im Nachwort erläutert, hatte er die Idee zu diesem Roman schon vor Corona und stellte sie im Januar 2020 seinem Verlag vor. Geschrieben wurde der Roman dann während des Lockdowns, was sicherlich dazu beigetragen hat, dass die beklemmende Stimmung der damaligen Zeit so authentisch geschildert werden konnte. Zudem konnte Ralf Günther auf viele Zeitzeugenberichte zurückgreifen. Daraus entstanden ist ein packender Roman über ein trauriges Kapitel deutscher und hanseatischer Geschichte.

Bei der Lektüre habe ich viel gelernt, zum einen über Robert Koch, zum anderen über die Cholera und den Stand der Medizin anno 1892, aber auch über Hamburg in der damaligen Zeit. So wusste ich z.B. nicht, dass Altona damals noch kein Stadtteil von Hamburg war, sondern eine eigenständige Stadt, die – anders als die Freie Hansestadt Hamburg – direkt der Reichsregierung in Berlin unterstand, was durchaus zu Konflikten zwischen Hamburg und Altona führte.

Den tatsächlichen historisch belegten Ereignissen sind einige fiktive Geschehnisse und Personen beigemischt, anhand derer die schlimmen Schicksale noch besser erlebbar werden. Es gibt im Roman etliche Figuren, mit denen man mitleidet und -bangt, was die Spannung zusätzlich steigert und zum Nachdenken anregt. Definitiv kein Buch, das man mal schnell an einem Wochenende liest und dann wieder vergisst, sondern eine Geschichte, die noch lange nachwirkt.