Die letzte Schuld

Erstellt am 3.12.21. Kategorie: Buchrezensionen
„Die letzte Schuld“
von Heidi Rehn
Bewertung
★★★★★
Verlag Aufbau Verlag
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen November 2021
Seiten 364
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Ein knappes Jahr ist es her, seit ich „Das doppelte Gesicht“, einen historischen Kriminalroman von Heidi Rehn, gelesen habe. Das Buch war der Auftakt zu einer Krimireihe, die im München der Nachkriegszeit spielt, beginnend im Jahr 1945 bis hin zur Gründung der Bundesrepublik 1949. Mit „Die letzte Schuld“ ist nun das Jahr 1946 an der Reihe.

Das beherrschende Thema zu dieser Zeit ist das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“, mit dem die Entnazifizierung der deutschen Bevölkerung in der amerikanischen Besatzungszone in Angriff genommen wird. Dazu muss jeder Deutsche einen Fragebogen mit 131 Fragen ausfüllen. Klar, dass da oft gemauschelt, getrickst und gelogen wird, denn jetzt will ja plötzlich niemand mehr ein Anhänger der Nazis gewesen sein. Der illegale Handel mit Bescheinigungen, die einen einwandfreien Leumund belegen sollen, blüht.

Billa Löwenfeld, die aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrte Jüdin, die nun als Reporterin für ein US-Magazin schreibt, arbeitet an einem Artikel über diese Fragebögen und dabei begegnet sie Emil Graf wieder, dem jungen Ermittler bei der Münchner Kriminalpolizei. Die beiden waren sich im letzten Jahr schon näher gekommen, doch dann musste Billa überstützt abreisen. Nun nähern sie sich vorsichtig wieder an. Den Vorwand dazu liefert ihnen ein Kriminalfall, in dem Emil gerade ermittelt: Eine Frau wurde ermordet und wie sich rasch herausstellt, war sie die Frau eines ehemaligen Blockwarts in einer Siedlung am Stadtrand. Zwar war die Ermordete höchst unbeliebt in ihrer Nachbarschaft, doch ein wirkliches Mordmotiv hat offenbar niemand.

Bei ihren Ermittlungen konzentrieren Emil und Billa sich zunächst auf die Entnazifizierung und die vielen damit verbundenen Betrügereien. Doch je weiter sie recherchieren, umso tiefer werden die Abgründe, die sie schließlich auch ins Haus der Kunst führen, das einst von Hitler erbaute Monumentalmuseum. Dort ist man im Auftrag der amerikanischen Militärverwaltung mit der Abwicklung der noch im Gebäude verbliebenen Gemälde und Plastiken aus der letzten NS‑Kunstschau beschäftigt. Unter der Hand wird ein reger Handel mit NS-Devotionalien betrieben und dann scheint auch noch ein ganz besonderes Artefakt verschwunden zu sein: Die bronzene Ehrentafel, auf der die Namen der Spender eingraviert sind, die maßgeblich zur Finanzierung von Hitlers „Haus der Deutschen Kunst“ beigetragen haben. Nicht nur Emil und Billa interessieren sich für deren Verbleib…

Wieder einmal hat Heidi Rehn mit ihren plastischen Schilderungen das München der Nachkriegszeit ganz deutlich vor meinem inneren Auge entstehen lassen. Zwar liegt die Stadt noch immer größtenteils in Schutt und Asche, aber schon entstehen die ersten Jazzclubs, Münchner wie Besatzer geben sich in warmen Frühlingsnächten der Swingmusik hin. Für ein Päckchen Kaugummi, ein Stück Schokolade oder ein paar Zigaretten kann man quasi alles von der Hunger leidenden Bevölkerung bekommen, vor allem Auskünfte.

Der Kriminalfall selbst ist wieder sehr spannend, lange Zeit tappte ich beim Lesen völlig im Dunkeln und hatte keine Ahnung, wer denn nun letztlich der Mörder war. Daneben war aber auch das Zwischenmenschliche hochinteressant und einfühlsam beschrieben: Billas Suche nach ihren Münchner Wurzeln, Emils Schuldgefühle, weil er im Krieg ein Mitläufer war, die Nöte vieler Frauen, die nach dem Krieg allein für ihre Kinder sorgen müssen, weil die Männer im Krieg gefallen sind oder vermisst werden… all diese Themen werden geschickt zu einer packenden Geschichte verwoben.

Wer den ersten Fall noch nicht kennt, kommt im zweiten Band trotzdem problemlos mit, denn alles, was man wissen muss, wird nochmal kurz erzählt und der Kriminalfall ist ohnehin in sich abgeschlossen. Aber gerade das Zwischenmenschliche ist einer steten Entwicklung unterworfen, von daher ist es schon ratsam, die Bücher der Reihe nach zu lesen. Am Ende des zweiten Bandes bleiben in dieser Hinsicht auch ein paar Fragen offen und ich bin nun sehr gespannt, wie es weitergeht. Laut Auskunft der Autorin wird das Hauptthema in Band 3, der im Jahr 1947 spielt, der Schwarzmarkt in der Möhlstraße sein. Zu diesem Thema habe ich Anfang des Jahres bereits den sehr bewegenden Roman „Glückskinder“ von Teresa Simon gelesen. Umso mehr warte ich nun auf Band 3 der Krimireihe um Emil Graf, um das Bild abzurunden.