„Duftwickensommer“ | |
von Sylvia Lott | |
Bewertung
★★★★★
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Verlag | Blanvalet |
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Buchform | kartoniert, E-Book |
Erschienen | Juli 2025 |
Seiten | 462 |
Erhältlich bei | genialokal.de |
Von Sylvia Lott habe ich schon etliche Romane gelesen (leider noch längst nicht alle), die mir allesamt sehr gut gefallen haben. Daher war ich sehr gespannt auf diesen neuen Roman, der auf zwei Zeitebenen spielt:
Im Jahr 2024 zieht die geschiedene Marieke auf die Nordseeinsel Borkum. Dort hat sie sich ein altes Haus gekauft und will in aller Ruhe ihre Wunden lecken, denn die Trennung hat ihr sehr zugesetzt und sie in eine tiefe Depression gestürzt, aus der sie nur schwer wieder herausfindet. Über die herrlichen Duftwicken, die rund um das alte Häuschen wachsen, kommt Marieke ins Gespräch mit ihrer älteren Nachbarin Alwine. Die erzählt ihr die Geschichte von Anni, einer früheren Besitzerin des Hauses.
England, 1911: Die junge Deutsche Anni arbeitet als Vorleserin bei einer Familie der Upper Class, als das ganze Land von einem regelrechten Fieber erfasst wird. Die „Daily Mail“ hat einen Duftwickenwettbewerb ausgerufen, bei dem man für den schönsten selbstgezogenen Wickenstrauß das Zehnfache des Jahresgehalts eines Arbeiters gewinnen kann. Fortan drehen sich im ganzen Land die Gespräche nur noch um Anzuchtmethoden, Wickensorten, Düngung, Veredelung und ähnliche Themen. „Was würdest Du mit dem Preisgeld anfangen?“, lautet eine häufig gestellte Frage, die das ganze Land zum Träumen anregt.
Lord John Ramsgate, verlobt mit der Tochter von Annis Arbeitgeber, arbeitet bei der „Daily Mail“ und hat den Auftrag, die Berichterstattung über den Wettbewerb zu koordinieren. Dadurch kommt er in Kontakt mit Anni, die nicht nur ihre eigenen Wicken zieht, sondern sich auch sehr für die Geschichten der anderen Teilnehmenden interessiert und durch einen Zufall schließlich bei der „Daily Mail“ als Aushilfe in der Hochphase des Wettbewerbs arbeiten darf.
Außerdem kommt Anni durch ihre Arbeitgeberin und neue englische Freundinnen zunehmend in Kontakt mit der Frauenbewegung: Die Suffragetten kämpfen für ein Frauenwahlrecht und auch Anni geht mit ihnen auf die Straße, als sie mitbekommt, wie ungerecht einige der Frauen in ihrem Bekanntenkreis behandelt werden.
Borkum, 2024: Durch Alwines Erzählungen wird Marieke immer mehr in den Bann von Annis Geschichte gezogen. Gleichzeitig muss sie sich mit ihrem eigenen Leben auseinandersetzen. Gerade als sie anfängt, wieder neuen Lebensmut zu fassen, stehen plötzlich ihr Ex-Mann und die erwachsenen Zwillinge vor ihrer Tür. Doch da ist auch noch Tibo, ein Biologe, der sich nicht nur auf Borkum sehr für den Erhalt der Artenvielfalt einsetzt. Durch ihn erhält Marieke plötzlich Zugang zu Themen, die sie vorher nie interessiert haben: Klimawandel, Umweltschutz, Pflanzenkunde und vieles andere mehr.
Im Roman wechseln die Kapitel der beiden Zeitstränge in schöner Regelmäßigkeit ab, was bedeutet: Am Ende jeden Anni-Kapitels gibt es einen Cliffhanger. Wie Marieke war ich begierig darauf zu erfahren, wie es mit Anni in England weitergegangen ist. Die Kapitel in der Gegenwart empfand ich zwar auch als interessant, doch zumindest anfangs als nicht ganz so spannend wie den Erzählstrang in der Vergangenheit. Doch je weiter die Geschichte voranschritt, umso mehr begann mich auch Mareikes Schicksal zu fesseln.
Duftwicken kenne ich noch vage aus meiner Kindheit, leider sind sie hierzulande heute kaum noch in einem Garten zu finden. Ich musste mich erstmal im Internet über sie schlau machen und habe mich sogar mit der Vorsitzenden unseres hiesigen Gartenbauvereins darüber unterhalten. Jetzt habe ich große Lust bekommen, selbst welche in unserem Garten anzusiedeln. Den Wettbewerb der „Daily Mail“ 1911 hat es übrigens tatsächlich gegeben.
Sehr gut gefallen hat mir, dass der Roman neben den beiden sehr unterschiedlichen (fiktiven) Frauenschicksalen auch viele große und wichtige gesellschaftliche Themen aufgreift: Die Frauenbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts ebenso wie das aktuelle Thema Klimawandel mit all seinen Begleiterscheinungen. Auch die sehr umstrittenen Gasbohrungen vor Borkum werden erwähnt, ebenso wie die von mir sehr bewunderte Klimaaktivistin und Autorin Luisa Neubauer.
So war dies alles in allem eine äußerst spannende, unterhaltsame und zugleich lehrreiche Lektüre. Wer einen Sommerroman sucht, der nicht nur an der Oberfläche bleibt, sondern auch zum Nachdenken über wichtige gesellschaftliche Themen anregt, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.
[Als Werbung gekennzeichnet, da Rezensionsexemplar erhalten]