Elchtest – Ein Jahr in Bullerbü

Erstellt am 16.9.25. Kategorie: Buchrezensionen
„Elchtest - Ein Jahr in Bullerbü“
von Gunnar Herrmann
Bewertung
★★★★★
Verlag Ullstein
Buchform E-Book
Erschienen März 2010
Seiten 400
Erhältlich beigenialokal.de

Zur Einstimmung auf unsere Schwedenreise in diesem Sommer war ich auf der Suche nach entsprechender Lektüre und da stieß ich u.a. auf dieses schon etwas ältere Buch. Der Autor Gunnar Herrmann stammt aus München und ist Journalist bei der Süddeutschen Zeitung. Da er eine schwedische Mutter hat und daher die Sprache beherrscht, wurde er von seiner Redaktion als Skandinavienkorrespondent nach Stockholm geschickt. Seine schwangere Frau Stefanie blieb zunächst in München und kam später mit der neugeborenen Tochter Laura nach.

Ausgerechnet Dezember! So beginnt das Buch, denn ausgerechnet im Dezember landen Stefanie und Laura am Stockholmer Flughafen und die Stadt könnte nicht weiter entfernt sein von all den Klischees, die man hierzulande mit ihr verbindet: Es ist nass, grau, Feinstaub hängt in der Luft und statt in einem faluroten Holzhäuschen mit weißen Fensterrahmen hat Gunnar erstmal eine Unterkunft in einem Mehrfamilienhaus gefunden – und selbst das nur mit viel Glück. Amüsant erzählt er von den Besonderheiten des schwedischen Mietwohnungsmarktes, in dem man gute Beziehungen und viiiel, viiiel Geduld braucht.

Überhaupt Geduld: Im Schlangestehen sind nicht nur die Engländer Meister, sondern auch die Schweden: „Warten hat in Schweden nicht einfach nur organisatorische Gründe. Es ist vielmehr Ausdruck einer egalitären Lebensphilosophie: In der Warteschlange sind alle Schweden gleich. Dass jeder irgendwann drankommt, keiner bevorzugt wird, ist für sie ein Zeichen von Gerechtigkeit. Warteschlangen werden darum völlig anders wahrgenommen als bei uns in Deutschland. Wenn ein Deutscher in einer Behörde eine Warteschlange erblickt, denkt er: »Das System ist marode.« Der Schwede dagegen denkt: »Das System funktioniert.«“ (Zitat)

Als Leser*in begleitet man Gunnar ein gutes Jahr lang durch seine Abenteuer in dem Land, das in der Vorstellung von uns Deutschen geprägt ist von Abba, Astrid Lindgren und der königlichen Familie. Die Realität sieht ein wenig anders aus, oft besser als hierzulande, aber natürlich nicht immer. Auf höchst unterhaltsame Weise und mit viel Humor, Selbstironie und Wortwitz erzählt Gunnar von seinem Kampf mit der Bürokratie, von den Erfahrungen in der Kinderkrippe, auf die jedes Kind in Schweden ab dem ersten Lebensjahr einen Anspruch hat (nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich), von schwedischen Essgewohnheiten, dem Wohnungsmarkt und vielen anderen Alltagserlebnissen mehr.

Hochinteressant fand ich z.B. auch diese Betrachtungen zum Thema Autokauf: „Die Schweden sind zwar ebenso autovernarrt wie die Deutschen, aber sie legen beim Kauf ihres Gefährts ganz andere Maßstäbe an. Für sie geht tatsächlich Sicherheit vor. Während der Deutsche beim Autokauf an die linke Autobahnspur denkt, so denkt der Schwede an eine einsame, schlecht beleuchtete Landstraße und an einen Elch.“ (Zitat)

Ganz nebenbei erfährt man aber auch viel über das Verhältnis der Schweden zu ihren nordischen Nachbarn, insbesondere zu den Dänen. Da gibt es u.a. einen Absatz über die Bedeutung der Öresundbrücke als wichtigste Verbindung zwischen den beiden Nachbarländern. Spannend zu lesen ist auch Gunnars Besuch in Kiruna, hoch im Norden Lapplands. Da erzählt er u.a. von dem Vorhaben, die Stadt um einige Kilometer zu versetzen, um so den weiteren Abbau von Eisenerz und Seltenen Erden zu sichern – ein Thema, das kürzlich erst weltweit Schlagzeilen machte, als deshalb die Kirche von Kiruna umgezogen wurde. Und natürlich wird auch das tatsächliche Bullerbü besucht, vielmehr der Ort, an dem die Autorin Astrid Lindgren den fiktiven Ort Bullerbü erfunden hat und zu dem heute Fans aus aller Welt pilgern. Welche Eindrücke Gunnar von dort mitgenommen hat, ist wunderbar erfrischend zu lesen.

Überhaupt liest sich dieses Buch so spannend wie ein Roman, obwohl es sich eher um einen dramatisch zugespitzten Tatsachenbericht handelt. Dass das Buch bereits gut 15 Jahre alt ist, merkt man ihm nicht an, weil viele der Erfahrungen, die der Autor und seine Familie in Schweden machen, wohl eher allgemeingültig sind. Sehr gelungen finde ich auch das Cover, das alles enthält, was wir Deutschen gemeinhin mit Schweden verbinden 😉

Ganz große Leseempfehlung für Schweden-Fans und alle Leser*innen, die sich ganz allgemein für Land und Leute in (Nord-) Europa interessieren.

Leider ist das Buch, das 2010 erschienen ist, derzeit nur als E-Book im Handel bzw. als gedrucktes Buch nur noch gebraucht erhältlich. Zwei Jahre später ist die Fortsetzung „Alter Schwede. Zwei Hochzeiten und ein Elchgeweih“ erschienen, die der Autor zusammen mit seiner Frau verfasst hat. Auch dieses Buch ist leider nur noch gebraucht zu bekommen. Ich jedenfalls muss es mir unbedingt besorgen, weil ich wissen möchte, was Gunnar, Stefanie und Laura weiterhin in Schweden erlebt haben.

[Werbung, unbezahlt]