Lady Liberty

Erstellt am 15.5.18. Kategorie: Buchrezensionen
„Lady Liberty“
von Annabelle Tilly
Bewertung
★★★★★
Verlag Tinte & Feder
Buchform Taschenbuch
Erschienen Mai 2018
Seiten 396
Erhältlich beiAP Buch Baldham

Paris, 1885: Die junge Camille St. Laurent war schon unter den Studenten der Sorbonne eine Ausnahme als eine von ganz wenigen Frauen. Aber als Frau für eine Zeitung schreiben? Im damaligen Frankreich völlig undenkbar! Die gängige Meinung ist, dass Frauen dafür nicht genügend Intellekt besitzen, sie können allenfalls Gedichte oder Tagebucheinträge verfassen. Dennoch erkennt der Chefredakteur der renommierten Zeitung Le Figaro Camilles Talent und bietet ihr einen Job als Korrespondentin in New York an, wo sie über die Errichtung der Freiheitsstatue und generell über ihre Eindrücke der Stadt schreiben soll. Dabei kommt Camille zugute, dass ihr Vorname in Frankreich auch bei Männern häufig vorkommt, so dass kein Leser des Figaro erfährt, dass die Artikel eigentlich von einer Frau stammen.

Also reist Camille als einzige Frau an Bord der Fregatte Isère mit der französischen Delegation nach New York. Im Frachtraum des Schiffes lagert die Freiheitsstatue, zerlegt in ihre Einzelteile. Die Statue, zu ihrer Zeit das höchste Denkmal der Welt, ist ein Geschenk der Franzosen an die USA zum hundertjährigen Jubiläum der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Als die Delegation am 20. Juni 1885 in New York ankommt, sieht sie zu ihrem Schrecken, dass das Fundament für die Lady Liberty noch längst nicht fertiggestellt ist. Geldmangel hat den Bau des Sockels immer weiter verzögert. Es soll noch über ein Jahr dauern, bis die Freiheitsstatue am 28. Oktober 1886 endlich feierlich eingeweiht werden kann.

Camille jedoch bezieht nun zunächst einmal ihr Büro in den Räumen der New York World, deren Chefredakteur niemand Geringerer als Joseph Pulitzer ist, auf den später einer der wichtigsten Medienpreise der USA zurückgehen wird. In der Redaktion macht Camille Bekanntschaft mit dem Journalisten Patrick O’Sullivan. Der soll eigentlich in Pulitzers Auftrag vorrangig über die Lady Liberty berichten, denn Pulitzer hat eine großangelegte Spendenaktion initiiert, um Geld für den Bau des Sockels aufzutreiben. Nebenbei recherchiert Patrick aber heimlich über einen Prostituiertenmord, den die New Yorker Polizei längst ad acta gelegt hat. Bei der gemeinsamen Recherche kommen Camille und Patrick sich näher und schließlich gerät Camille auf der Suche nach dem Mörder sogar selbst in Lebensgefahr.

Dieses Buch hat mich von Anfang an begeistert. Zum einen erfährt man dabei viel über die historischen Hintergründe der Freiheitsstatue. Ich wusste bislang nicht viel mehr, als dass die Statue ein Geschenk der Franzosen an die Amerikaner zum Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung war. Wie umstritten dieses Geschenk aber auf beiden Seiten des Atlantiks war und welche Gründe zu einer jahrzehntelangen Verzögerung des Projekts geführt hatten, war im Geschichtsunterricht meiner Schule leider nie ein Thema. Die Autorin hält sich in ihrem Roman weitgehend an die historischen Fakten und erläutert diese im Anhang auch noch näher.

Verpackt sind diese tatsächlichen Geschehnisse in eine fiktive Geschichte, die viel über die Zustände New Yorks im ausgehenden 19. Jahrhundert, über die Stellung der Frau und das damalige Zeitungswesen erzählt, was für mich als Journalistin natürlich besonders interessant zu lesen war. Der Schreibstil ist so flüssig, dass man das Buch wirklich in einem Rutsch durchlesen kann. Zudem kamen mir bei der Lektüre natürlich immer wieder Erinnerungen an unsere Reise an die Ostküste der USA, bei der wir auch New York besucht haben. Und ich habe mich sehr gefreut, einige der Bauwerke, die im Roman erwähnt werden, schon mit eigenen Augen gesehen zu haben: neben der Freiheitsstatue z.B. auch die Brooklyn Bridge, die im Jahre 1883 fertiggestellt wurde, also nur zwei Jahre vor dem Zeitraum, in dem der Roman spielt.

Alles in allem war „Lady Liberty“ ein wirklich spannender und zugleich lehrreicher Roman, den ich mit großem Vergnügen gelesen habe.