Die Schwestern vom Ku’damm: Jahre des Aufbaus

Erstellt am 23.10.18. Kategorie: Buchrezensionen
„Die Schwestern vom Ku'damm: Jahre des Aufbaus“
von Brigitte Riebe
Bewertung
★★★★★
Verlag Wunderlich
Buchform gebunden, eBook
Erschienen Oktober 2018
Seiten 432 als gebundene Ausgabe
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Der Auftakt zu einer Trilogie, die im Berlin der Nachkriegszeit spielt. Los geht es im Mai 1945: Der Krieg ist endlich zu Ende, doch Berlin liegt in Trümmern. Das muss auch die Familie Thalheim schmerzlich erfahren: Vater Friedrich ist zunächst ebenso verschollen wie Bruder Oskar, die drei Töchter Rike, Silvie und Florentine müssen mit Friedrichs zweiter Frau Claire allein ums Überleben kämpfen. Ihr Haus wird von den Russen beschlagnahmt und das schöne Kaufhaus Thalheim, einst der ganze Stolz und das Lebenswerk von Friedrich, ist zerstört.

Die Frauen leiden Hunger, arbeiten als Trümmerfrauen und erkämpfen sich Stück für Stück etwas Hoffnung zurück. „Die Jahre des Aufbaus“ sind vor allem der ältesten Tochter Rike gewidmet, die sich nichts sehnlicher wünscht, als das Kaufhaus wieder aufbauen und zu neuem Leben erwecken zu können. Gemeinsam mit ihrer Freundin Miriam, einer Jüdin, die den Krieg im Untergrund überlebt hat, beginnt sie wieder zu nähen: Statt edlen Stoffen werden zunächst alte Lumpen zu neuen Gewändern verarbeitet, die erste Modenschau findet im Freien zwischen Trümmern statt, ist aber dennoch ein großer Erfolg. Nach den langen Kriegsjahren dürsten vor allem die Frauen nach neuen Kleidern und ein wenig Freude.

Doch die Menschen in Berlin haben noch immer kein Geld, vor allem denjenigen im russischen Sektor geht es schlecht. Die Blockadepolitik bringt die Wirtschaft, die im Westen des Landes schon wieder floriert, vollends zum Erliegen. Rike gibt trotzdem nicht auf und stellt sich allen Widrigkeiten, von denen es wahrlich genug gibt: Der Vater kommt schwer krank aus dem Krieg zurück und will sofort wieder das Kommando übernehmen, was Rike zunehmend missfällt. Die leichtfertige Silvie ist mehr an Männern interessiert als am Wiederaufbau und bringt sich schließlich in eine missliche Lage. Florentine ist aufmüpfig und vernünftigen Argumenten kaum noch zugänglich. Dann ist da noch das Geheimnis um den Unfalltod von Rikes Mutter Alma und das komplizierte Verhältnis zu Friedrichs Bruder Carl.

Aber es gibt auch immer wieder Lichtblicke: Freundschaften, Feste, zu denen jeder beiträgt, was er kann, der Zusammenhalt der Familie, wenn es drauf ankommt. Und da ist Alessandro aus Mailand, in den Rike sich verliebt. Aber hat eine Liebe auf Distanz unter diesen besonders schwierigen Umständen überhaupt eine Chance? Gerade als die Währungsreform endlich für Aufschwung sorgt, holt die Vergangenheit die Familie Thalheim ein: Hat sie sich wirklich an Juden bereichert, die zur Zeit des Nationalsozialismus das Land verlassen mussten? Friedrich sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert.

Diese Lektüre hat mich von der ersten Seite an mitgerissen. Die Geschichte ist so spannend erzählt, dass ich mit der Familie richtig mitgefiebert habe. Das ging so weit, dass ich immer sehr demütig am Abendbrottisch saß und sehr dankbar war dafür, dass es uns heute so gut geht, denn in dem Buch ist allzu oft die Rede davon, wie sehr die Berliner damals hungern mussten. Da wird einem beim Lesen schnell klar, wie wenig selbstverständlich eine ordentliche Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf doch sind.

Thematisch fand ich das Geschehen in Berlin nach Kriegsende hochinteressant. Viele Bücher, die ich bisher gelesen habe, haben ein Happy End, das zeitlich mit dem Kriegsende zusammenfällt. Dass das Leiden der Bevölkerung jedoch im Mai 1945 noch lange nicht zu Ende war, zeigt dieses Buch. Es passt zeitlich auch ganz hervorragend zwischen zwei Romane von Heidi Rehn, die ich kürzlich verschlungen habe: „Das Haus der schönen Dinge“ beschreibt das Schicksal einer jüdischen Kaufhausdynastie in München vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Zeit des Nationalsozialismus. In „Der Himmel über unseren Träumen“ wird die Zeit des Wiederaufbaus ab dem Jahr 1954 in München beschrieben.

Mit Brigitte Riebes Roman „Jahre des Aufbaus“ schließt sich für mich gewissermaßen der Kreis – bzw. er beginnt sich zu schließen, denn dies ist ja der erste Teil einer Trilogie. In „Wunderbare Zeiten“, das im Sommer 2019 erscheint, wird die Geschichte von Rikes Schwester Silvie in den Jahren 1952 bis 1957 erzählt. Der letzte Band „Tage der Hoffnung“ widmet sich dem Nesthäkchen Florentine und geht bis zum Jahr 1963.

Sehr schön finde ich, dass im Anhang des Buches eine Zeittafel enthalten ist, die die wichtigsten Ereignisse in Berlin von 1945 bis 1951 beschreibt. Etliche dieser historischen Ereignisse kommen auch im Roman vor und sorgen so für ein authentisches Bild. Viele Perspektivwechsel und unerwartete Wendungen sorgen zudem für Spannung und am Ende steht ein Cliffhanger, der mich schon jetzt ungeduldig auf Band 2 warten lässt.

Ganz dringende Leseempfehlung!