Die Schwestern vom Ku’damm: Tage der Hoffnung

Erstellt am 23.4.20. Kategorie: Buchrezensionen
„Die Schwestern vom Ku'damm: Tage der Hoffnung“
von Brigitte Riebe
Bewertung
★★★★★
Verlag Wunderlich
Buchform gebunden, eBook
Erschienen April 2020
Seiten 461
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Auf dieses Buch hatte ich bereits mit Spannung gewartet: „Tage der Hoffnung“ ist der letzte Teil von Brigitte Riebes Trilogie „Die Schwestern vom Ku’damm“ und ein würdiger Abschluss. Im ersten Band, „Jahre des Aufbaus“, der von 1945 bis 1951 spielt, geht es um Rike, die älteste der drei Thalheim-Schwestern. Im zweiten Band, „Wunderbare Zeiten“, zwischen 1952 und 1957 angesiedelt, dreht sich alles um die mittlere Schwester Silvie.

Nun also ist Nesthäkchen Florentine, genannt Flori, an der Reihe. Ich muss gestehen, dass ich in den ersten beiden Bänden noch keinen rechten Zugang zu Flori gefunden habe. Mir ging es da wohl wie Rike und Silvie: Flori ist zehn Jahre jünger als Silvie und ist in den Augen der beiden älteren Schwestern immer nur die „Kleene“, während die beiden Großen sich rein altersmäßig und auch von ihrer jeweiligen Lebenssituation her deutlich näher stehen. Nun aber lernte ich Flori beim Lesen aus einem ganz neuen Blickwinkel kennen. Im zweiten Band war sie mit ihrem Freund nach Paris abgehauen, um dort fernab der Familie ihr eigenes Leben zu leben, das erfüllt sein sollte von der Kunst, denn Flori liebt das Malen nicht nur, es ist sozusagen ihr Lebenselixier, sie kann Farben förmlich hören und fühlen, was von ihrer Familie leider nicht ernst genommen wird.

Doch die Zeit in Paris verläuft anders als erhofft und so kehrt Flori Anfang 1958 nach Berlin zurück, ohne Freund, ohne Geld, aber immer noch mit dem Willen, ihr Leben der Kunst zu widmen. Mit viel Beharrlichkeit schafft sie es, an der Hochschule für bildende Künste aufgenommen zu werden. Dort lernt sie Benko kennen, der ihr ein guter Freund wird, und sie verliebt sich in ihren Dozenten Rufus Lindberg, wohlwissend, dass dem ein gewisser Ruf vorauseilt. Dennoch lässt Flori sich auf eine Affäre mit ihm ein und erlebt ein wildes Gefühlschaos. Ihre widersprüchlichen Empfindungen drückt sie in ihren expressionistischen Gemälden aus.

Der Roman beschert Flori und dem Leser auch ein Wiedersehen mit vielen anderen liebgewordenen Personen aus den beiden vorherigen Romanen, zum Beispiel mit Onkel Carl, der mit seiner Frau Kitty im Ostteil Berlins lebt, mit Carls Tochter Franzi, die auf dem Weg zum Filmstar ist, oder mit Cousin Gregor, der seine Homosexualität nach wie vor nicht offen leben darf. Daraus ergeben sich viele spannende Handlungsstränge, die von der Autorin geschickt zu einem großen Ganzen verwoben werden. Der Thalheim-Clan wächst und wächst: Es wird geheiratet, es kommt Nachwuchs und so manches lang gehütete Familiengeheimnis tritt zutage.

Eingebettet sind all diese Geschehnisse in viele reale Ereignisse der damaligen Zeit: So erlebt Flori unter anderem einen Auftritt Marlene Dietrichs in Berlin und den legendären Beatles-Gig im Hamburger Starclub, sie lernt Rut Brandt, die Gattin des damaligen Berliner Oberbürgermeisters Willy Brandt, kennen und arbeitet für den Otto-Versand. Denn im Verlauf der Geschichte erwärmt sich Flori neben der Malerei auch immer mehr für die Fotografie. Zusammen mit Benko wird sie so zu einer wichtigen Zeitzeugin, als sie das Leben im Ostteil der Stadt fotografiert – wenige Tage vor dem 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus.

Floris private Erlebnisse fallen somit in eine Zeit, in der Berlin wieder einmal in Aufruhr ist. Richtig dramatisch wird es, als Carl und Kitty durch die Mauer getrennt werden. Carl, der sich durch einen dummen Zufall nun im Westen wiederfindet, setzt alles daran, Kitty nachzuholen, doch seine Versuche scheitern kläglich. Und dann besucht US-Präsident John F. Kennedy 1963 die geteilte Stadt…

Dieser Roman war für mich in mehrfacher Hinsicht spannend: Zum einen war es hochinteressant, Floris persönliche Entwicklung mitzuerleben, von der unreifen, verwöhnten Göre hin zu einer verantwortungsbewussten jungen Frau, die sich nicht scheut, für das einzustehen, was und wen sie liebt.
Zum anderen ist es natürlich sehr spannend, die historischen Ereignisse dieser Jahre quasi hautnah mitzuverfolgen. Natürlich kannte ich schon vorher die legendären Worte Kennedys „Ich bin ein Berliner“ und ich habe sie – im Bewusstsein dessen, wie die folgenden Jahre verlaufen sind – immer mit gemischten Gefühlen gesehen. Aber hier erlebt man die Ereignisse aus der Sicht der Berliner, taumelt mit ihnen zwischen Verzweiflung und Hoffnung und kann sich dadurch nochmal ganz anders in die reale Geschichte jener Zeit einfühlen.

Erleichtert wird das zudem durch eine sehr ausführliche Zeittafel am Ende des Romans, der die Jahre 1958 bis 1963 umfasst. Ein klein wenig hätte ich mir zudem noch ein Personenregister oder eine Ahnentafel der weitverzweigten Familie Thalheim gewünscht, doch da sich im Laufe des Romans hier noch einige Geheimnisse offenbaren, wäre solch eine Ahnentafel wohl ein Spoiler gewesen. Aber auch so bin ich wieder gut in die Geschichte hineingekommen.

Man kann diesen Roman zwar auch für sich alleine lesen, deutlich größer ist der Lesegenuss aber, wenn man die beiden Vorgängerbände schon kennt. Diese kommen jetzt gerade übrigens als Taschenbücher heraus, nachdem sie bisher als gebundene Ausgaben und als eBooks erhältlich waren. Und wie die Autorin in einer Leserunde verriet, wird es zu Weihnachten ein Wiedersehen mit der Familie Thalheim geben. Ich freu mich drauf!