Fashion Victim

Erstellt am 6.11.20. Kategorie: Buchrezensionen
„Fashion Victim“
von Anne-Sophie Monrad
Bewertung
★★★★☆
Verlag dtv
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen August 2020
Seiten 268
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Auf dieses Buch wurde ich durch einen Bericht im Münchner Merkur aufmerksam. Ich gestehe, ich schaue seit vielen Jahren die Sendung „Germanys Next Topmodel“ an, von Jahr zu Jahr jedoch kritischer und mit äußerst gemischten Gefühlen. Vieles, was in dieser Sendung passiert, gefällt mir überhaupt nicht, vor allem der sehr respektlose Umgang mit den Kandidatinnen. Ich nahm aber an, dass dies dem TV-Format Unterhaltung geschuldet ist. Deshalb hat es mich interessiert, wie es im wahren Modelleben zugeht. Und mein Fazit lautet: Da ist es noch viel schlimmer.

Anne-Sophie Monrad war 18, als sie ihren ersten Modelvertrag unterschrieb, nachdem sie zuvor schon lange davon geträumt hatte, Model zu werden. Wie so viele andere Mädchen träumte auch sie von schönen Kleidern, tollen Reisen, Glamour und gutem Einkommen. Die Realität sah für sie (und viele andere junge Frauen) jedoch anders aus. Anni, wie sie von ihren Freunden genannt wird, berichtet in ihrem Buch von ihren Anfängen und ihrer durchaus beachtlichen Karriere, aber auch von dem immensen Druck, dem sie von Anfang an ausgesetzt war. Dabei geht es zum einen um ihr Gewicht, das von Agenturen und Kunden stets als zu hoch eingestuft wurde, obwohl Anni nun wirklich gertenschlank war. Zum anderen geht es aber auch um die Art und Weise, wie mit ihr und anderen teils noch minderjährigen Mädchen in der Branche umgegangen wird.

Anni erzählt von ihrer ersten Reise nach Mailand, wo sie sich bei verschiedenen möglichen Kunden vorstellen sollte. Da war niemand, der sie vorher zumindest ansatzweise vorbereitet oder mit Tipps versorgt hätte, niemand, der ihr mit Rat und Tat zur Seite stand. Gerade für ein noch so junges Mädchen ist es oft sehr schwer, sich ganz allein in einer fremden Stadt mit einer fremden Sprache zurechtzufinden und dann damit umgehen zu müssen, wenn man von den Kunden nicht nur nicht gebucht wird, sondern auch noch mit abfälligen Kommentaren wie „zu dick“ konfrontiert wird. Die wenigsten Menschen sind in diesem Alter wohl reif genug, solche Kommentare ganz ohne Weiteres wegzustecken.

Auch Anni kämpft von Beginn ihrer Karriere an mit ihrem Gewicht – mit fatalen Folgen. Sie hungert so sehr, dass ihre Periode über Jahre ausbleibt und nur durch Einnahme von Hormonen wieder kommt. Es gibt auch andere körperliche Folgen, wie Kreislaufprobleme und Schwäche. Wie so viele andere Models ignoriert auch Anni diese Beschwerden, beißt die Zähne zusammen und zieht ihre Jobs durch, auch wenn sie krank ist. Denn: ein Model ist Freiberufler*in, verdient also nichts, wenn es krank oder in Urlaub ist. Und ein Model ist rasend schnell ersetzbar, der Konkurrenzdruck ist riesig.

Anni berichtet in ihrem Buch auch von ihrer finanziellen Situation, davon, dass es üblich ist, dass ihre Agentur 25% ihrer Honorare einbehält und weitere Servicepauschalen berechnet. Davon, dass Kosten für Flug, Hotel und Fahrservice dem Model von ihrem Lohn abgezogen werden – oft, ohne dass die unerfahrenen jungen Frauen zuvor darüber informiert wurden. Sie bemängelt, dass es für Models keine Gewerkschaft oder sonstige Interessensvertretung gibt, die auf die Einhaltung von gewissen Mindeststandards pocht. Das ist in dieser Branche leider extrem schwierig, weil sie so international ist und viele Models nur eine oder zwei Saisons mit dabei sind, die Fluktuation der Gewerkschaftsmitglieder also wahnsinnig hoch wäre.

Sie erzählt von dem Ungleichgewicht im Machtgefüge, in dem Models der Willkür ihrer Agenturen und Kunden oft völlig wehrlos ausgeliefert sind. Dazu hat sie etliche erschütternde Beispiele parat. Beim Lesen dachte ich mir oft: Wie kann man sich das nur gefallen lassen? Aber die Antwort ist leider: Wer aufmuckt, fliegt, wird nicht mehr gebucht, landet auf einer schwarzen Liste. Kein Wunder also, dass so viele Models sich widerspruchslos gefallen lassen, wie respektlos oft mit ihnen umgegangen wird.

Es dauert etliche Jahre, bis Anni die Notbremse zieht: Sie kündigt den Vertrag mit ihrer Agentur und kümmert sich um ihre Gesundheit – tragischerweise wird dieser Entschluss ausgerechnet durch Krankheiten in ihrem persönlichen Umfeld ausgelöst. Zuvor hatte Anni jahrelang immer wieder mit dem Gedanken gespielt, mit dem Modeln aufzuhören, weil sie tief in ihrem Inneren genau wusste, was sie ihrem Körper und ihrer Seele damit antat. Aber es gab eben immer wieder auch die schönen Momente im Beruf, die erfolgreichen Fashion Shows und tollen Shootings mit namhaften Designern und – selten genug – schöne Freundschaften, die so entstanden sind.

Die Autorin lässt in ihrem Buch auch einige andere Personen der Branche zu Wort kommen: neben einer Modelfreundin auch den Fotografen Kristian Schuller, den Modeschöpfer Wolfgang Joop und den ehemaligen Booker Jacob Mohr, die aus ihrer jeweils ganz eigenen Sicht interessante Aspekte mit einbringen.

Alles in allem fand ich die Lektüre sehr interessant und bewegend. Ich habe beim Lesen nur öfter den zeitlichen Überblick verloren und hätte mir deshalb gewünscht, dass häufiger erwähnt wird, wie alt Anni beim jeweils Erzählten gerade ist, um das Geschehen besser einordnen zu können. Auch hätte ich mir etwas mehr Klartext gewünscht: so wird weder ihre damalige Agentur beim Namen genannt noch die Kunden, unter denen Anni besonders zu leiden hatte. Ich vermute mal, die Autorin wollte sich damit absichern und vor etwaigen Klagen schützen, was ich absolut nachvollziehen kann. Dennoch: Wenn sich in der Branche etwas ändern soll, dann muss das Kind beim Namen genannt werden.

Ein wenig bizarr war für mich, dieses Buch gleich nach „Weihnachten am Ku’damm“ zu lesen. In beiden Büchern spielt das Hungern eine zentrale Rolle, jedoch aus völlig unterschiedlichen Gründen. Für mich stellte sich dadurch erst recht die Frage, wie krank diese Modebranche denn eigentlich ist, die ein Schönheitsideal propagiert, das nicht nur unrealistisch, sondern vor allem in höchstem Maße ungesund ist.

Dieses Buch sollte für alle jungen Mädchen, die davon träumen, Model zu werden, zur Pflichtlektüre werden! Für mich war es ein sehr interessanter Einblick in eine mir vollkommen fremde Welt.