Nur einen Atemzug entfernt

Erstellt am 9.8.21. Kategorie: Buchrezensionen
„Nur einen Atemzug entfernt“
von Nicole Walter
Bewertung
★★★★☆
Verlag Droemer Knaur
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen August 2021
Seiten 349
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Nach dem Unfalltod ihres Mannes bricht für Leonie eine Welt zusammen. Einen Tag später wollten sie und Tom eigentlich zu einem lang ersehnten Urlaub nach Schweden aufbrechen, nun steht die 35-Jährige plötzlich ganz alleine da und fällt in ein tiefes Loch. Was ihr vor allem zu schaffen macht, ist die Frage, ob Tom durch einen tragischen Unfall starb oder ob es womöglich Selbstmord war, denn rund um das Unglück gibt es etliche Ungereimtheiten und zudem litt Tom unter einem Burn-out, war unzufrieden mit seiner Arbeit und auch in der Beziehung zu Leonie lief zuletzt nicht alles rund.

Ein Jahr dauert es, bis Leonie sich endlich aufraffen kann, Toms Handy wieder einzuschalten. Und da findet sie seltsame Fotos, die aber offenbar außer ihr selbst niemand sehen kann. Die Bilder zeigen Tom an verschiedenen Orten in Schweden – doch Tom war zuletzt als 19-Jähriger in Schweden, die Fotos zeigen ihn aber ganz offensichtlich kurz vor seinem Tod. Wie kann das sein? Will Tom Leonie auf diese Weise aus dem Jenseits eine Botschaft schicken?

Kurzentschlossen setzt Leonie sich ins Auto und macht sich auf die Reise nach Schweden, um die Orte auf den Fotos aufzusuchen. Auf dem Weg dorthin begegnet ihr Mika, ein Mann, der ihr zugleich unheimlich ist und doch eine seltsame Faszination auf sie ausübt. Immer wieder trifft sie ihn auf ihrer Reise, die sie zunächst nach Stockholm, dann nach Gotland und schließlich bis an den Polarkreis führt. Dabei versucht Leonie, Antworten auf ihre vielen Fragen an Tom zu finden, denn wie es scheint, lenkt er ihre Schritte und ist immer nur einen Atemzug von ihr entfernt. Gleichzeitig fühlt Leonie sich immer mehr zu Mika hingezogen – doch darf sie die Gefühle für ihn zulassen, so kurz nach Toms Tod? Letztlich wird die Reise für Leonie zu einer Reise zu sich selbst.

Anders als im Klappentext beschrieben, träumt Leonie nur ganz selten von Tom. Das hat mich etwas irritiert, weil es im Klappentext eben heißt „Doch dann besucht Tom Leonie in ihren Träumen. Nacht für Nacht verlangt er Unmögliches von ihr: Sie soll endlich die Reise nach Schweden antreten…“ Stattdessen sind es die Fotos auf seinem Handy, die ihr eingeben, nach Schweden zu reisen. Das war mir ehrlich gesagt eine Spur zu mystisch, zu unerklärlich (ich persönlich wäre ja nicht einmal bis zur Fotogalerie im Handy meines Mannes vorgedrungen, weil sein Handy, ebenso wie meines, passwortgeschützt ist, aber das nur am Rande). Dass Tom Leonie in ihren Träumen besucht, hätte ich hingegen gut nachvollziehen können, schließlich verarbeitet man ja oft im Traum Dinge, die man im wachen Zustand eher verdrängt. Aber sei’s drum.

Die Reise nach Schweden fand ich sehr spannend und sie hat mir große Lust gemacht, selbst einmal dieses Land zu bereisen. Die Schilderungen von Stockholm, Gotland und all den anderen Orten sind wunderbar anschaulich, als ob man selbst dort unterwegs wäre. Zufälligerweise habe ich in den Tagen, in denen ich den Roman gelesen habe, auch immer wieder ABBA im Radio gehört, das hat ganz wunderbar gepasst, denn das ABBA-Museum in Stockholm mit dem wunderschönen Motto „Come in and dance out“ spielt eine wichtige Rolle im Buch.

Leonies Kummer konnte ich gut nachvollziehen, auch wenn sie in vielerlei Hinsicht ein ganz anderer Typ ist als ich und entsprechend vollkommen anders gehandelt hat als ich das an ihrer Stelle wohl getan hätte. Mikas Schwester Ebba, die gegen Ende des Romans noch eine wichtige Rolle spielt, war mir auf Anhieb sympathisch, wohingegen ich mit ihrem Bruder so rein gar nichts anfangen konnte. Dessen meist sehr wortkarge, zugeknöpfte und abweisende Art hätte mich garantiert eher abgestoßen als angezogen, Leonie hingegen betrachtet ihn wohl eher als eine Art Herausforderung.

Alles in allem fand ich die Handlung sehr gefühlvoll, sehr einfühlsam, sehr ruhig erzählt, wie auch die anderen Romane von Nicole Walter, die ich bisher gelesen habe („Das Glück umarmen“ und „Ein Blick in deine Augen“). Insgesamt ist dies ein wunderbares Buch über Liebe und Tod, Glück und Trauer, Festhalten und Loslassen, Erinnern und Vergessen. Eine Geschichte, die definitiv nachwirkt.