Die Frau des Blauen Reiter

Erstellt am 16.8.22. Kategorien: Buchrezensionen, Ebersberger Zeitung, Lokalberichte
„Die Frau des Blauen Reiter“
von Heidi Rehn
Bewertung
★★★★★
Verlag Aufbau
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen August 2022
Seiten 399
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Auf dieses Buch habe ich mit Spannung gewartet. Denn seit langem interessiere ich mich für die Künstergruppe Blauer Reiter und habe dazu schon mehrfach das Münchner Lenbachhaus und einige der dortigen Sonderausstellungen besucht. Sehr geprägt hat mich Ende 2017 der Roman „Die Malerin“, der von Gabriele Münter erzählt. Und ein Besuch im Blauen Land beim Franz-Marc-Museum in Kochel und beim Münter-Haus in Murnau machte mein Glück komplett.

Deshalb war meine Freude groß, als ich erfuhr, dass eine meiner Lieblingsautorinnen, Heidi Rehn, einen Roman über Maria Marc, die Frau von Franz Marc, schreibt. Was nur wenige wissen: Maria Marc war selbst Künstlerin, hat jedoch ihr Leben in erster Linie dem Schaffen ihres Mannes gewidmet. Doch der Reihe nach…

Der Roman beginnt mit dem Prolog im Jahre 1902: Die 26-jährige Maria Franck aus Berlin setzt sich gegen ihre Eltern durch und erreicht, dass sie ihr Kunststudium in München fortsetzen kann. Dort begegnet sie 1905 dem vier Jahre jüngeren Franz Marc und fühlt sich sofort zu ihm hingezogen, obwohl alle ihre Bekannten sie vor dem „Schwabinger Schlawiner“ warnen, denn zu dieser Zeit unterhält Franz eine stadtbekannte Affäre mit einer Professorengattin. Doch auch er findet Gefallen an Maria und so kommen sich die beiden langsam näher.

Maria leidet unter einem geringen Selbstbewusstsein, nicht nur, was ihr Aussehen betrifft, sondern vor allem, wenn es um ihre Kunst geht. Franz bestärkt sie jedoch in ihrem Tun, mit ihm kann sie sich auf Augenhöhe austauschen und wenn beide gemeinsam zum Malen in der freien Natur sind, entstehen ihre besten Werke. Immer wieder zieht es die beiden von München hinaus aufs Land: Nach Kochel, Lenggries, Sindelsdorf und in andere Orte des sog. Blauen Lands südlich der Landeshauptstadt.

Doch Franz kann nicht von der Professorengattin lassen, außerdem geht er eine Scheinehe mit Marie Schnür ein, einer von Maria anfangs sehr bewunderten Lehrerin an ihrer Damenakademie. Maria ist zutiefst verletzt, doch sie kann einfach nicht von Franz lassen und er auch nicht von ihr. Zwar wird seine Ehe mit Marie Schnür ein Jahr später wieder geschieden, doch frei für Maria ist er damit noch lange nicht. Maria leidet sehr darunter, dass sie mit Franz nur in einem „gschlamperten Verhältnis“ leben kann und auch ihre Eltern machen ihr deshalb sehr viel Druck. Ginge es nach ihnen, würde Maria sich endlich einen Mann suchen, der sie versorgt, und ihre Malerei künftig nur noch als Hobby betreiben. Das geht so weit, dass die Eltern Maria nach einem Heimatbesuch die Rückkehr nach München verweigern.

Es ist ein langer harter Kampf, bis Maria und Franz endlich miteinander glücklich werden dürfen. Und wie man aus der Geschichte weiß, währt dieses Glück nicht lange: 1914 brach der Erste Weltkrieg aus, im März 1916 fiel Franz Marc in der Nähe von Verdun. 1917 ließ Maria seinen Leichnam nach Kochel überführen und widmete sich fortan dem künstlerischen Vermächtnis ihres Mannes. Sie selbst rührte seit seinem Tod nie wieder einen Pinsel an, doch ihre Kreativität zeigte sich später noch auf andere Weise…

Den Beginn des Romans empfand ich als ein wenig langatmig, was vielleicht an dem ewigen Hin und Her zwischen Maria und Franz lag. So manches Mal wollte ich sie schütteln und ihr zurufen: „Lass die Finger von diesem Mann, der tut Dir nur weh!“ Aber es war eben das, was man neudeutsch als eine „amour fou“ bezeichnet, die beiden konnten nicht ohne einander. Auch das Verhältnis von Maria zu ihren Eltern machte mich beim Lesen zeitweise fassungslos: Wie kann es sein, dass eine Frau Mitte Dreißig sich nicht gegen ihre Eltern durchsetzen kann? Doch es waren eben andere Zeiten als heute, zudem war Maria von ihren Eltern auch finanziell abhängig, so lange sie und Franz von ihrer Kunst nur mehr schlecht als recht leben konnten.

Beeindruckt war ich von den Schilderungen des künstlerischen Schaffens sowohl von Franz als auch von Maria. Beinahe hatte ich den Eindruck, als wäre Heidi Rehn selbst dabei gewesen und hätte den beiden Künstlern über die Schulter geschaut, während die ihre Kunstwerke begannen, verbesserten, vollendeten oder auch verwarfen. So bekam ich einen sehr guten Einblick in das Denken und Fühlen der beiden Künstler, deren Liebe nach so kurzer Zeit so tragisch endete – Franz Marc war gerade mal 36 Jahre jung, als er auf dem Schlachtfeld ums Leben kam.

So hat mich diese Lektüre vor allem in der zweiten Hälfte – in der dann auch die Künstlervereinigung Blauer Reiter ins Spiel kam – sehr aufgewühlt und wie so oft bei den Romanen von Heidi Rehn habe ich sehr viel gelernt. Gleich nachdem ich den Roman beendet hatte, habe ich mein Buch „Der Blaue Reiter“, das ich mir vor etlichen Jahren im Lenbachhaus gekauft hatte, hervorgeholt und dort nochmal einiges zu der Künstlervereinigung nachgelesen.

Dabei stellte ich fest, dass es sich in diesem Buch genau so verhielt wie so oft in Maria Marcs Leben: Sie wurde nur als „die Frau von“ wahrgenommen, nicht als eigenständige Künstlerin, die sie ja auch war. Im Frühjahr 2022 hat eine Münchner Galerie Maria Marc eine eigene Ausstellung gewidmet. Leider habe ich es aus verschiedenen Gründen nicht geschafft, mir diese Ausstellung anzusehen. Doch zum Glück kann man die Exponate auf der Homepage der Galerie auch online bewundern. Sehr lesenswert ist der Ausstellungskatalog, den man auf der Galerie-Homepage herunterladen kann und der die perfekte Ergänzung zu diesem Roman darstellt.

Außerdem muss ich nun unbedingt nochmal nach Kochel ins Franz-Marc-Museum, das ich nach der Lektüre dieses Romans sicher nochmal mit ganz anderen Augen sehen werde. Weitere Wunschziele rund um den Blauen Reiter auf meiner Liste: der Friedhof in Kochel, wo Franz und Maria Marc begraben sind, das Schloßmuseum in Murnau, wo derzeit eine Sonderausstellung zu Münter und Kandinsky gezeigt wird, und das Buchheim-Museum in Bernried am Starnberger See, wo gerade eine Ausstellung zum Thema „Brücke und Blauer Reiter“ zu sehen ist.

Update vom 1. September 2022: Heute ist auch in der Ebersberger Zeitung / Münchner Merkur meine Buchbesprechung erschienen. Leider hat die Redaktion meine ursprüngliche Überschrift geändert und dabei prompt einen Fehler eingebaut, indem sie aus „Rehn“ den Namen „Rehm“ gemacht hat 🙁 Außerdem habe ich inzwischen tatsächlich schon einen Ausflug nach Murnau gemacht. Meinen kleinen Reisebericht lest Ihr hier.

[Werbung, unbezahlt] [Als Werbung gekennzeichnet, da Rezensionsexemplar erhalten]