KaDeWe – Haus der Träume

Erstellt am 5.1.23. Kategorie: Buchrezensionen
„KaDeWe - Haus der Träume“
von Marie Lacrosse
Bewertung
★★★★★
Verlag Goldmann
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Oktober 2022
Seiten 716
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Über die Feiertage hatte ich endlich mal wieder Zeit und Muße, um einen richtig dicken Wälzer zu lesen. Seit der Buchmesse Frankfurt lag dieser über 700 Seiten starke Roman von Marie Lacrosse schon bei mir, nun war endlich die Gelegenheit gekommen, ihn ganz in Ruhe zu lesen. Von der Autorin hatte ich in den vergangenen Jahren schon die Kaffeehaus-Trilogie gelesen, die im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielt. Diese Trilogie hatte mich sehr begeistert, deshalb war ich nun schon gespannt auf das neue Werk, das den Auftakt zu einer zweiteiligen Buchreihe darstellt, der zweite Teil soll im Sommer diesen Jahres erscheinen.

Wie der Buchtitel schon verrät, dreht sich in diesem Roman alles um das „Kaufhaus des Westens“, kurz KaDeWe, in Berlin. Die Handlung beginnt im Jahr 1907 mit dem Prolog und zieht sich dann von 1914 bis 1926. Hauptfiguren sind zum einen die aus ärmlichsten Verhältnissen stammende Rieke Krause, die im KaDeWe als Kassenmädchen beginnt, zum anderen Judith Bergmann, die Tochter des KaDeWe-Justiziars. Ihre Familie entstammt der gehobenen jüdischen Gesellschaft, ihr Vater Paul Bergmann ist nicht nur ein wichtiger Mitarbeiter des KaDeWe-Gründers Adolf Jandorf, sondern auch dessen engster Freund und Vertrauter.

Im Laufe der Geschichte verfolgt man Riekes Aufstieg innerhalb des KaDeWe, der auf ihren beharrlichen Fleiß zurückzuführen ist und von dem sie sich auch durch mehrere schwere Schicksalsschläge nicht aufhalten lässt. Judith, die im Vergleich zu Rieke mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde, soll nach dem Willen der Eltern den Kaufhauserben Harry Jandorf heiraten, doch ein Dasein als Hausfrau ist nichts für sie, sie strebt nach Unabhängigkeit, beginnt ein Universitätsstudium und widmet sich voller Hingabe der Sozialarbeit mit Kindern in den Armenvierteln der Stadt.

Beide Frauen haben ältere Brüder, die den Ersten Weltkrieg an der Front hautnah miterleben und mit schweren körperlichen und seelischen Blessuren zurückkehren. Diese Blessuren haben nicht nur Auswirkungen auf ihr eigenes Leben, sondern auch auf das ihrer Familien, in ganz unterschiedlicher Hinsicht.

Der Krieg und die Nachkriegszeit werden mit brutaler Schonungslosigkeit geschildert, sowohl die Geschehnisse an der Front als auch die Nöte in Berlin zur damaligen Zeit. Die Berichte von der Armut der Bevölkerung sind erschütternd und machten mich beim Lesen zutiefst demütig – gerade im Hinblick darauf, dass ich den Roman ja zwischen Weihnachten und Neujahr las, also in einer Zeit, in der die ganze Familie fröhlich beisammen war und besonders viel und gut gegessen wurde. Für unsere unbeschwerten Festmahle war ich angesichts der Lektüre ganz besonders dankbar.

Zuweilen strengten mich die detaillierten Schilderungen so an, dass ich das Buch ganz bewusst weglegen musste und leider zog sich mancher Handlungsstrang auch etwas in die Länge, was das Lesen dann doch etwas beschwerlich machte. Dann jedoch war die Geschichte wieder extrem spannend. Viele der Figuren sind mir ans Herz gewachsen, neben Rieke und Judith waren das vor allem Paul Bergmann und sein Sohn Johannes, Judiths Bruder. Aber auch Adolf Jandorf, der Patriarch des KaDeWe, machte auf mich einen sehr sympathischen und menschlichen Eindruck. Mit ihm habe ich vor allem gegen Ende der Geschichte sehr mitgelitten, ebenso mit Johannes, wobei ich hier nicht verraten kann, warum, da ich ja nicht spoilern möchte.

Die Beklemmung, die ich schon beim Lesen der ersten Kapitel empfand, ließ nicht nach, als es im Laufe der Geschichte erst um die Hyperinflation und dann um den erstarkenden Nationalsozialismus und Antisemitismus ging. Oft erinnerte mich die Lektüre auch an den Roman „Das Haus der schönen Dinge“ von Heidi Rehn, in dem es um eine fiktive jüdische Kaufhausdynastie in München ging, der aber stark an reale Schicksale angelehnt war – siehe die Familien Wertheim und Tietz („Hertie“ nach der Arisierung), die auch in diesem Roman von Marie Lacrosse eine Rolle spielen.

Sehr schön fand ich, dass am Anfang dieses Romans ein umfangreiches Personenverzeichnis enthalten ist, in dem reale historische Persönlichkeiten entsprechend gekennzeichnet sind. Hier habe ich gerade am Anfang der Lektüre häufiger nachgeschlagen. Am Ende des Buches gibt es zum einen ein Glossar mit typischen Begriffen der damaligen Zeit, die im Roman verwendet wurden, zum anderen ein Quellenverzeichnis und – wie schon bei der Kaffeehaus-Trilogie – ausführliche Erläuterungen der Autorin zu ihren Recherchen und zum Thema „Wahrheit und Fiktion“ in diesem Roman.

Alles in allem war dies keine leicht verdauliche Lektüre, zuweilen sogar etwas anstrengend, oftmals beklemmend, aber zugleich sehr spannend. Das Buch wird mir sicher nachhaltig im Gedächtnis bleiben.

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