Die Schokoladenvilla – Goldene Jahre

Erstellt am 16.10.19. Kategorie: Buchrezensionen
„Die Schokoladenvilla - Goldene Jahre“
von Maria Nikolai
Bewertung
★★★★★
Verlag Penguin
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Oktober 2019
Seiten 718
Erhältlich beiAP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, seit ich „Die Schokoladenvilla“ von Maria Nikolai gelesen habe. Nun ist endlich die Fortsetzung erschienen, auf die ich bereits mit Spannung gewartet habe. Während der erste Band der Trilogie in den Jahren 1903/04 angesiedelt war, machen wir nun einen Zeitsprung ins Jahr 1926. Die Schokoladenfirma Rothmann hat den Ersten Weltkrieg überstanden und die daraus resultierenden Schwierigkeiten gemeistert. Noch immer lenken Judith und ihr Mann Victor Rheinberger die Geschicke der Firma, unterstützt werden sie mittlerweile von Karl, Judiths jüngerem Bruder. Dessen Zwillingsbruder Anton hingegen hat sich mit einer Firma, die Klaviere herstellt, sein eigenes Leben aufgebaut.

Das Buch beginnt mit der Ankunft Serafinas in Stuttgart. Serafina ist die Halbschwester von Victor, sie wuchs bei ihrem Vater Friedrich Rheinberger auf, ihre Mutter, eine Tänzerin, hat sie nie kennengelernt. Doch nun ist Friedrich gestorben und da Serafina noch nicht volljährig ist, muss sie von Berlin nach Stuttgart umziehen und sich in die Obhut ihres Bruders Victor begeben. Dort wird sie herzlich aufgenommen, doch niemand ahnt, dass die junge Frau durch ein dunkles Kapitel ihrer Vergangenheit belastet wird: In einer wehrlosen Situation wurden anzügliche Fotos von ihr gemacht und nun droht jemand, sie damit zu erpressen. In ihrer Not vertraut sich Serafina ihrer Freundin Lilou Roche an, die als Assistentin der berühmten Tänzerin Josephine Baker nach Stuttgart kommt. Gemeinsam versuchen die beiden Frauen, herauszufinden, wer hinter der Erpressung steckt. Dabei entdecken sie, dass es einen Zusammenhang mit Serafinas Mutter geben muss, über deren Verbleib Serafina nichts weiß.

Victor und Judith plagen derweil andere Sorgen, denn in der Schokoladenfabrik kommt es immer wieder zu Sabotageakten. Wer will der Firma schaden? Leider ist Karl ihnen nur bedingt eine Hilfe, denn er ist zum einen abgelenkt durch Serafina, zu der er sich hingezogen fühlt, zum anderen versucht er mit aller Kraft, sich freizuschwimmen von der Aufsicht seiner älteren Schwester und ihres Mannes. Insgeheim wurmt es ihn auch, dass sein Zwillingsbruder Anton es geschafft hat, sich aus eigener Kraft etwas aufzubauen. Zumal er bald spürt, dass auch Serafina Gefallen an Anton findet – der allerdings ist drauf und dran, sich mit einer anderen zu verloben, was Serafina in tiefste Verzweiflung stürzt.

Und dann ist da noch Vicky, die Tochter von Judith und Victor. Das lebhafte eigenwillige Mädchen freundet sich mit Mathilda an, deren Vater einst für die Rothmanns gearbeitet hat. Eines Abends bleiben die beiden Mädchen länger als vereinbart in der Schokoladenfabrik, um gemeinsam zu experimentieren, als plötzlich die Katastrophe über sie hereinbricht…

Wieder einmal ist es Maria Nicolai gelungen, einen spannenden Roman zu schreiben, der einen von der ersten Seite an fesselt. Dabei geht es nicht nur um das Schicksal der Familie Rothmann/Rheinberger, zugleich vermittelt die Autorin ein äußerst plastisches Bild der sogenannten goldenen 1920er Jahre, jener Zeit, in der Frauen endlich mehr Rechte für sich beanspruchen konnten und eine gewisse Freizügigkeit Einzug hielt. Nicht nur in der Hauptstadt Berlin, sondern auch in Stuttgart wuchsen die Varietétheater, Jazzclubs, Lichtspielhäuser und prachtvollen Warenhäuser wie Pilze aus dem Boden und zogen die Besucher in Scharen an. Nach dem Ersten Weltkrieg sehnten sich die Menschen nach Wohlstand und Vergnügen. Allerdings hatte auch diese Ära ihre Schattenseiten und es gab noch immer viele Menschen, die in Armut lebten, die alten Hierarchien waren noch lange nicht vollständig durchbrochen. Auch das kommt im Roman wunderbar eindrücklich zur Sprache, vor allem am Beispiel von Mathildas Eltern. Ein Glossar und Erläuterungen zur Historie sorgen am Ende des Buches für Hintergrundinformationen.

Besonders gefallen haben mir die Szenen, in denen die Anziehung zwischen Serafina und Anton geschildert wird. Die ersten zarten Bande, die vielen Gemeinsamkeiten, aber auch die Zurückhaltung aus den verschiedensten Gründen… ich hatte direkt selber Herzklopfen und Schmetterlinge im Bauch, während ich diese Szenen gelesen habe.

Fazit: Ein rundum gelungener Roman, den ich trotz seiner über 700 Seiten in wenigen Tagen verschlungen habe. Auch wer Band 1 noch nicht kennt, wird keine Probleme haben, in die Handlung einzusteigen, alles Wesentliche wird erklärt und letztlich ist „Goldene Jahre“ eine vollkommen eigenständige Geschichte. Schöner ist es aber natürlich, wenn man beide Bände hintereinander weg liest – und ich persönlich warte schon jetzt sehnsüchtig auf das Erscheinen von Band 3.