„Die Buchhandlung in der Amalienstraße“ | |
von Heidi Rehn | |
Bewertung
★★★★★
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Verlag | List |
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Buchform | gebunden, eBook |
Erschienen | April 2022 |
Seiten | 464 |
Erhältlich bei | AP Buch Baldham, Buchladen Vaterstetten |
Ein neues Buch von einer meiner Lieblingsautorinnen und wieder widmet sich Heidi Rehn einem Kapital der deutschen, bayerischen und Münchner Geschichte. Diesmal beginnt die Handlung im Jahr 1913 (abgesehen vom Prolog, der bereits 1910 spielt), Dreh- und Angelpunkt ist die Buchhandlung Lämmle in der Münchner Amalienstraße. Hier arbeiten die beiden Freundinnen Elly und Henni in einer Umgebung, die inspirierender kaum sein könnte: Die Buchhandlung befindet sich in der Maxvorstadt, in unmittelbarer Nachbarschaft von Universität, Kunstakademie und vielen Künstler- und Szenetreffs. Die beiden Besitzerinnen des Ladens legen besonderes Augenmerk darauf, Bücher von Münchner Autor*innen und überhaupt von Frauen besonders zu fördern. Es ist eine Zeit, in der die Frauenrechtsbewegung in München und anderswo Fahrt aufnimmt.
Elly und Henni, die mit ihrem Kollegen Leo und Hennis Bruder Zacherl ein eingeschworenes Kleeblatt bilden, sind mittendrin in dieser turbulenten Zeit. Nächtelang diskutieren sie sich die Köpfe heiß über Bücher und über Politik. Endlich scheint auch für Frauen ein anderes Leben möglich als nur das an der Seite eines Ehemannes, der sie finanziell versorgt. Doch dann beginnt der Erste Weltkrieg, Leo und Zacherl melden sich freiwillig zum Dienst an der Waffe und nichts ist mehr so, wie es einmal war…
Eigentlich ist dieses Buch weniger ein Roman als vielmehr ein äußerst spannendes Geschichtsbuch. Akribisch recherchiert wird hier die Zeit wenige Wochen und Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges beinahe Tag für Tag erzählt. Als Leserin hatte ich dabei oftmals ein beklemmendes Gefühl, wenn ich las, wie unbeschwert die jungen Leute die Nächte durchtanzten, kurz bevor der Krieg sie in Not und Elend stürzte. Unwillkürlich fragte ich mich dabei oft, ob wir jetzt – angesichts der schrecklichen Ereignisse in der Ukraine – wohl in einer ganz ähnlichen Situation sind und erneut auf einen Weltkrieg zusteuern.
Die Handlung endet im Jahr 1919 nach der blutigen Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Da ziehen die Freundinnen ihre ernüchternde Bilanz: „Der Krieg hat aus München eine Stadt der Frauen gemacht. Aber unter anderen Prämissen, als wir Frauen uns das je ersehnt haben.“ (Zitat).
Wer wissen möchte, wie es danach in München weiterging, kann gleich mit dem nächsten Roman von Heidi Rehn weiterlesen, denn sehr viele ihrer Bücher spielen in München in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ich habe mal versucht, diese Bücher in eine Art chronologische Reihenfolge zu bringen:
Das Haus der schönen Dinge (erschienen 2017): spielt von 1897 – 1938 (plus Epilog 1952)
Die Buchhandlung in der Amalienstraße (erschienen 2022): spielt von 1913 – 1919
Tanz des Vergessens (erschienen 2015): spielt von 1919 – 1924
Spiel der Hoffnung (erschienen 2016): spielt von 1926 – 1929
Das Lichtspielhaus (erschienen 2019): spielt von 1926 – 1939
Das doppelte Gesicht (erschienen 2020): spielt 1945
Die letzte Schuld (erschienen 2021): spielt 1946
Der Himmel über unseren Träumen (erschienen 2018): spielt 1954 – 1955
So bekommt man beim Lesen, jeweils eingebettet in eine spannende Handlung, einen sehr umfassenden und anschaulichen Eindruck von dieser Zeit. Die Krimis „Das doppelte Gesicht“ und „Die letzte Schuld“ gehören zu einer Reihe, die von München ab der Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt, hier folgen noch zwei weitere Bände und es macht Sinn, diese Krimis nacheinander zu lesen. Die übrigen Romane können aber alle unabhängig voneinander gelesen werden, auch wenn so manches Mal Figuren aus dem einen Buch als „Sidekick“ auch in einem anderen Buch wieder als Nebenfiguren auftauchen. Beinahe wie ein roter Faden zieht sich das fiktive Kaufhaus Hirschvogl aus „Das Haus der schönen Dinge“ durch die Geschichten, auch Elly aus „Die Buchhandlung in der Amalienstraße“ kauft hier ein und stöhnt über die Konkurrenz für ihren Buchladen, denn auch beim Hirschvogl gibt es Bücher zu kaufen und werden Lesungen veranstaltet.
Wie der Titel des aktuellen Romans ja schon verrät, dreht sich in der Geschichte diesmal sehr viel um Bücher und ihre Autor*innen. Deshalb gibt es im Buchanhang auch eine Liste aller im Roman erwähnten Buchtitel nebst Kurzbeschreibung. Darin enthalten sind so bekannte Autor*innen wie Lena Christ, Fanny zu Reventlow, Ludwig Thoma oder Heinrich und Thomas Mann, aber auch solche, die zumindest mir bis dato wenig sagten wie Carry Brachvogel oder Ricarda Huch. Heidi Rehn muss wirklich Unmengen an Büchern verschlungen haben, um deren wichtigste Aussagen in ihren Roman einflechten zu können!
Manchmal litt meines Erachtens die Spannung ein klein wenig unter all diesen literarischen Betrachtungen, hier hätte man vielleicht doch noch etwas straffen können. Aber nichtsdestotrotz war dies wieder eine sehr interessante und lehrreiche Lektüre, die mir die Geschichte meiner Heimatstadt noch etwas näher gebracht hat.