Die Hafenärztin 2

Erstellt am 7.6.22. Kategorie: Buchrezensionen
„Die Hafenärztin 2“
von Henrike Engel
Bewertung
★★★★★
Verlag Ullstein
Buchform Taschenbuch, eBook
Erschienen Mai 2022
Seiten 461
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Zu Beginn des Jahres habe ich mit großer Begeisterung den historischen Roman „Die Hafenärztin“ (Untertitel: „Ein Leben für die Freiheit der Frauen“) gelesen, der in Hamburg im Jahr 1910 spielt. Es geht darin um die junge Ärztin Anne Fitzpatrick, die unter etwas zwielichtigen Umständen von London nach Hamburg kommt und sich hier im Kampf für Frauenrechte einsetzt. Mit Spannung habe ich seither den zweiten Teil erwartet, der jetzt im Mai erschienen ist und den Untertitel „Ein Leben für das Glück der Kinder“ trägt.

Eigentlich ist Anne im Frühjahr 1911 mit ihrer eigenen kleinen Praxis und der Arbeit im Frauenhaus voll und ganz ausgelastet. Dennoch übernimmt sie vertretungsweise die Stelle in den Auswanderungshallen der Hapag und kümmert sich dort um die vielen Menschen, die hier übergangsweise leben, bis sie einen den großen Passagierdampfer nach Übersee besteigen können, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Auch Annes Freundin Helene arbeitet hier: Im Rahmen ihrer Lehrerinnenausbildung macht sie ein Praktikum und versucht, den vielen Kindern der Ausreisewilligen in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts in Hamburg ein wenig Bildung zu vermitteln – und einfach tröstend für sie da zu sein, denn viele der Kinder haben in ihren jungen Jahren bereits Schreckliches erlebt.

Doch dann kommt es in den Auswanderungshallen – einer eigenen, hermetisch abgeriegelten Stadt in der Stadt – zu mehreren ungeklärten Todesfällen und alle Opfer sind Kinder. In Anne keimt ein schrecklicher Verdacht: Wurden die Kinder vergiftet? Bei Hapag ist die Angst groß, dass sich Krankheiten ausbreiten, denn dann müssten die Auswanderungshallen geschlossen werden – mit großen wirtschaftlichen Verlusten für die Reederei und fatalen Folgen für die vielen armen Menschen, die dort leben. Kein Wunder also, dass man dort erstmal versucht, die Vorfälle zu vertuschen und lieber die unbequeme Ärztin loswerden will, als die Vergiftungen aufzuklären.

Zeitgleich ermittelt Kommissar Berthold Rheydt in einem Fall, bei dem ein Zuhälter und Mädchenschleuser erschlagen wurde. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um eine weibliche Täterin handelt, zumal zeitgleich eine Bande von Frauen durch die Stadt zieht und grausame Rache an Männern nimmt, die ihnen Leid zugefügt haben. Auf den ersten Blick haben dieser Mordfall und die Vergiftungen in den Auswanderungshallen nichts miteinander zu tun – oder doch? Wieder einmal finden sich Anne und Helene ungewollt im Mittelpunkt der Ereignisse. Und erneut kämpfen sie engagiert für die Rechte der Frauen und Kinder, auch wenn dabei ihre eigene Existenz und sogar ihr Leben in Gefahr geraten…

Durch den Roman habe ich einen interessanten Einblick in das Leben in den Auswanderungshallen der Hapag zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewonnen. Die Reederei hat die Auswanderungswilligen – viele von ihnen verfolgte Juden aus Osteuropa – in einer eigenen Stadt von den Hamburgern separiert, nicht zuletzt, um die Seuchengefahr zu verringern, schließlich liegt die Choleraepidemie noch nicht allzu lange zurück (siehe dazu auch das Buch „Arzt der Hoffnung“, das von Robert Kochs Wirken in Hamburg anno 1892 erzählt).

Doch die Autorin bietet auch interessante Einblicke in viele verschiedene Gesellschaftsschichten Hamburgs, beim Lesen besucht man ein Fußballspiel des FC St. Pauli ebenso wie ein Fest mit exzentrischen Künstlern, Séance inklusive, bevor es zum dramatischen Höhepunkt an Bord des Passagierdampfers „Pennsylvania“ kommt. Ich habe den Roman mit großer Spannung gelesen, diese Spannung wird durch die wechselnden Perspektiven und die vielen Cliffhanger an den Kapitelenden auch kräftig geschürt – wie gut, dass ich am Pfingstwochenende viel Zeit zum Lesen hatte!

Übrigens kann man dieses Buch auch gut lesen, wenn man den ersten Band noch nicht kennt. Zwar gibt es einige Bezüge zum Vorgängerroman, aber alles, was man dazu wissen muss, wird im zweiten Band erzählt. Und nun warte ich voller Neugier auf den dritten Band „Ein Leben für das Recht auf Liebe“ (ja, diese Untertitel sind wirklich furchtbar kitschig!), der im November 2022 erscheinen soll.

[Werbung, unbezahlt] [Als Werbung gekennzeichnet, da Rezensionsexemplar erhalten]